Marc Chagall: Poesie der Liebe

Zwei Liebende, ein roter Hahn und tiefblauer Himmel: Chagalls Gemälde aus den 1970er-Jahren feiert die Liebe als leuchtende Kraft der Erinnerung.

Kinder, die sich lieben, sind für niemanden da. Sie sind woanders, viel weiter weg als die Nacht, viel höher als der Tag, im strahlenden Licht ihrer ersten Liebe.“ Jacques Préverts Zeilen scheinen wie ein Schlüssel zum Universum Marc Chagalls: einer Welt, in der Liebe den Alltag überhöht, Erinnerungen ins Märchenhafte gleiten und Farben zu Trägern von Poesie und Spiritualität werden. In dem Gemälde „Couple sur coq rouge“, das in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre entstand, schweben zwei Liebende in einem tiefblauen Himmel. Sein Ultramarinblau ist weit mehr als ein Farbton: Es entfaltet die spirituelle Intensität von Yves Kleins Monochromen und ruft zugleich die Erinnerung an die sakrale Strahlkraft von Giottos Lapislazuli in der Scrovegni-Kapelle wach. Farbe schafft hier nicht Raum, vielmehr durchdringt sie ihn, verwandelt ihn und führt in eine Sphäre, in der Traum und Erinnerung ineinanderfließen. Im Zentrum der Komposition erhebt sich ein roter Hahn. Seine flammende Präsenz erinnert an die Experimente der Fauves, von Matisse, Derain, doch bei Chagall hat der Hahn symbolische Tiefe: Er steht für Vitalität, Sehnsucht, Erneuerung und schlägt eine Brücke vom Irdischen zum Spirituellen. Auf der linken Seite schweben Blumen herab, als fragile Gaben vermitteln sie zwischen Alltäglichem und Poetischem. Die Stadt im Hintergrund, mit geneigten Dächern und vertrauten Häusern, verweist wohl auf Witebsk, Chagalls Heimat. Immer wieder taucht dieser Ort in seinen Bildern auf – nicht als bloße Kulisse, sondern als Erinnerungsraum. So wird Architektur zum Träger von Geschichte und Emotion. In ihr verdichten sich Herkunft und Zugehörigkeit. Das Motiv der Liebenden – oft gedeutet als Chagall selbst und seine Bella – zieht sich durch sein gesamtes Werk. In den schwebenden Figuren liegt eine fast sakrale Leichtigkeit, die an Matisses Tänzerinnen und an die spirituelle Erhebung erinnert, die den Menschen dem Göttlichen näherbringt. Ihre Umarmung verharrt in Schwebe zwischen Himmel und Erde, Traum und Wirklichkeit, sie spinnt einen unsichtbaren Faden, der die Welt verwandelt, mit Bedeutung und Licht erfüllt.

In den 1970er-Jahren war Chagall längst ein gefeierter Meister, dessen Monumentalwerke– von Kathedralfenstern bis zu großformatigen Wanddekorationen – die internationale Kunstszene prägten. Doch trotz seines Ruhmes und seiner bedeutsamen Aufträge kehrte er stets zu seinem intimsten Thema zurück: der Liebe. Sie
blieb das Zentrum seines Schaffens, eine ursprüngliche, leuchtende Kraft, die Schatten vertreibt, Herzen erwärmt und den Menschen angesichts der Dunkelheit der Geschichte Trost schenkt.

Marc Chagall Couple sur coq rouge, c. 1975–1978 oil on canvas, 33.4 x 24.2 cm estimate €300,000 – 400,000
Marc Chagall Couple sur coq rouge, c. 1975–1978 oil on canvas, 33.4 x 24.2 cm estimate €300,000 – 400,000

AUKTION

Moderne, 18.November, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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