Max Slevogt: Sommer am Meer

Auf Einladung des Berliner Kunsthändlers Paul Cassirer und seiner Partnerin, der legendären Schauspielerin Tilla Durieux, verbrachte Max Slevogt zwei Wochen an der Nordsee. Dabei entstanden die für das Œuvre des Malers außergewöhnlichen Strandlandschaften. Eine davon, „Landschaft mit weißer Dame“, gelangt im Dezember im Dorotheum zur Auktion.

Tilla Durieux im Jahr 1905, Foto: Jacob Hilsdorf

Im Sommer 1908 verbrachte Max Slevogt zwei Wochen an der niederländischen Nordseeküste, gemeinsam mit seinen Künstlerfreunden Max Liebermann und Lovis Corinth. Die drei Künstler, das Dreigestirn des deutschen Impressionismus, wohnten auf Einladung ihres Freundes, des Berliner Kunsthändlers und Verlegers Paul Cassirer, in dessen Sommerhaus am Strand von Noordwijk aan Zee. Cassirer, dessen Galerie viele bedeutende Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit vertrat, hatte das Feriendomizil inmitten der Dünen gemeinsam mit seiner Partnerin und späteren Ehefrau, der österreichischen Schauspielerin Tilla Durieux, nach eigenen Vorstellungen erbauen lassen. Das Haus in dem damals aufstrebenden holländischen Seebad stand auch Cassirers Freunden offen, sodass die Künstler, die er als Galerist vertrat, automatisch ein Gastrecht besaßen. Slevogt besuchte das Haus gemeinsam mit seinen beiden Freunden, die wie er der Künstlervereinigung der Berliner Secession angehörten.

Max Slevogt, Landschaft mit weißer Dame, 1908, Öl auf Leinwand, 65 x 80 cm, Schätzwert € 100.000 – 150.000
Max Slevogt, Landschaft mit weißer Dame, 1908, Öl auf Leinwand, 65 x 80 cm, Schätzwert € 100.000 – 150.000

Gemeinsam malten sie das Meer und den Strand. Im Gegensatz zu seinen Künstlerfreunden, die regelmäßig ins Ausland fuhren, um zu malen, erkundete Slevogt, der nur ungern auf Reisen ging, lediglich ein einziges Mal zum Malen die Nordseeküste. Das Sujet der Strandlandschaft ist somit in Slevogts Œuvre sehr selten. Insgesamt sind nur sechs Gemälde dieses Motivs bekannt, jedes Einzelne davon nimmt einen einzigartigen Stellenwert in seinem Gesamtwerk ein.

Postkarte von 1913: Blick auf den Noord Boulevard, Noordwijk, links im Bild Cassirers Chalet „Casa mare“; © GDKE / Landesmuseum Mainz (Foto: U. Rudischer)

„Landschaft mit weißer Dame“ entstammt dieser bedeutsamen Werkserie. Am unteren Bildrand zeigt es eine Dame im strahlend weißen Sommerkleid, das einen starken Farbkontrast zu der in zahlreichen Grüntönen dargestellten Dünenlandschaft im Mittelpunkt der Komposition bildet. Insbesondere der Kontrast konstruiert Spannung in dem Gemälde. Der von der Lust am Sehen bestimmte Dialog zwischen Figur und Raum ist typisch für den Impressionismus. Möglicherweise entstand das Gemälde bei einem gemeinsamen Ausflug oder Spaziergang abseits des Ferienhauses. Es wurde 1918 in Berlin anlässlich einer Ausstellung zu Slevogts 50. Geburtstag gezeigt, dort trug es allerdings, wie der Katalog zur 100 Jahre später im Mainzer Landesmuseum präsentierten Ausstellung „Ein Tag am Meer. Slevogt, Liebermann und Cassirer“ vermerkt, den Titel „Dame, Brombeeren suchend“. Aufgrund des damaligen Titels ist davon auszugehen, dass das Bild vermutlich „das Sommervergnügen einer Brombeersuche zeigt“. Die Dame beugt sich leicht nach vorn und scheint in den Sträuchern nach reifen Früchten Ausschau zu halten. Das einfallende Licht umspielt ihren Rücken und es entsteht der Eindruck einer intensiven Sonnenreflexion. Die Dame trägt einen ebenfalls weißen Sommerhut, der ihr Gesicht verschattet und nur wenig von ihren dunklen Haaren preisgibt. Ob es sich bei der Dargestellten um Tilla Durieux handelt, muss offenbleiben. Aufgrund der engen Beziehung zwischen Slevogt, Cassirer und seiner Lebensgefährtin Tilla liegt diese Vermutung jedoch nahe – auch, weil diese in Slevogts handschriftlichem Werkverzeichnis als Eigentümerin des Gemäldes „Landschaft mit weißer Dame“ beziehungsweise „Dame, Brombeeren suchend“ aufscheint.

Vorstand der Berliner Secession, 1902, v. l. n. r.: August Gaul, Max Slevogt, Fritz Klimsch, Lovis Corinth, Max Liebermann, dahinter
stehend Paul Cassirer, Ludwig von Hofmann und Walter Leistikow; © GDKE / Landesmuseum Mainz (Foto: U. Rudischer)

Im August 1880 als Ottilie Godeffroy in Wien geboren, kam Tilla Durieux unter ihrem Künstlernamen 1903 nach Berlin, wo sie Paul Cassirer kennenlernte und 1910 in zweiter Ehe heiratete. Von ihrem Mann stets gefördert, wurde Tilla zur Grande Dame des Theaters und einer der meistporträtierten Frauen ihrer Zeit.

„Landschaft mit weißer Dame“ wurde erst kürzlich, anlässlich der Vorbereitungen zur Ausstellung „Ein Tag am Meer“, wiederentdeckt. Es ist ein einzigartiges Gemälde, das in Slevogts Œuvre keine Nachfolge mehr finden sollte, denn nach seinem Aufenthalt in Noordwijk malte Max Slevogt keine weiteren Strandlandschaften mehr.

 

Petra Schäpers ist Expertin für Zeitgenössische Kunst und Leiterin der Dorotheum Repräsentanz Düsseldorf, Julia Bystron arbeitet dort als Kunsthistorikerin.

AUKTION

Moderne, 30. November 2021, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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