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Anlässlich der Ausstellung „Magie und Abgründe der Wirklichkeit“ im Leopold Museum Wien sprechen wir mit unserer Dorotheum-Expertin für Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Kuratorin der Ausstellung, Marianne Hussl-Hörmann. Im Gespräch beleuchtet sie Rudolf Wacker, einen der bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in Österreich. Das Leopold Museum zeigt Wackers Oeuvre, das die gesellschaftlichen und politischen Spannungen seiner Zeit verarbeitet und in Wechselwirkung mit seiner Person sowie seinen Schriften zu verstehen ist. In seinen Bildern entwickelte er eine präzise Bildsprache. Hussl-Hörmann gibt uns tiefgehende Einblicke in das Konzept der Ausstellung und erläutert, wie man sich Wackers Werk nähern kann und warum es sie persönlich fasziniert.
Die Idee, eine Ausstellung zu Rudolf Wacker zu machen, existierte schon länger. Nun gibt es die erste monografische Schau zu Rudolf Wacker in Wien seit 66 Jahren. Wie lange war die Ausstellung in Vorbereitung, und gab es besondere Herausforderungen oder Überraschungen bei der Konzeption?
Naja, also eine Ausstellung über Rudolf Wacker in Wien zu machen, das dürfte schon vielfach kursiert sein und war schon länger ein Desiderat, welches das Leopold Museum nun tatsächlich umgesetzt hat. Das hängt auch damit zusammen, dass es im letzten Jahr, also 2024, die große Ausstellung zu deutschen Positionen der Neuen Sachlichkeit im Museum gegeben hat. Da war es dann eigentlich fast logisch, jetzt auch eine österreichische Position zu zeigen. Und da ist Rudolf Wacker natürlich an erster Stelle zu nennen. So ist es eigentlich dazu gekommen.
Es war eine recht kurze Vorbereitung – letztendlich hatten wir nur neun Monate Zeit. Und wenn das Zeitfenster so knapp ist, dann ist natürlich die große Herausforderung, die Werke zu bekommen. Da hatten wir den Vorteil, dass es zu Rudolf Wacker große Sammlungen gibt – nicht zuletzt die Rudolf-Leopold-Sammlung. Dann gibt es die Sammlung von Klaus und Friederike Ortner, die sehr umfangreich ist, und natürlich das Vorarlberger Landesmuseum, das auch eine sehr große Sammlung hat. Aber sonst sind seine Werke relativ wenig vertreten, und vielleicht ist das auch ein Grund, warum andere Museen bisher noch nicht zugegriffen haben.
Nichtsdestotrotz braucht man viele Arbeiten aus Privatsammlungen, und diese ausfindig zu machen, war anfangs die große Frage. Es war nicht klar, ob das gelingen würde – aber es ist gelungen. Die meisten privaten Sammler waren auch sehr angetan davon, ihre Arbeiten öffentlich zeigen zu können. Ja, das waren eigentlich die Hauptherausforderungen, und die haben wir dann ganz gut gemeistert.
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Was war der Grund, dass es erst jetzt wieder in Wien zu einer Wacker-Ausstellung kam?
Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass die Neue Sachlichkeit als Stilperiode in Wien nicht so präsent ist und deswegen nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Das hat sich auch erst in den letzten zehn Jahren geändert. Es gibt nicht viele Wiener Maler, die man als neu sachlich bezeichnen kann – eher Werkperioden innerhalb eines Œuvres. Aber so konsequent und schlüssig wie bei Wacker findet man das höchstens noch bei Franz Sedlacek, der ja auch erst spät entdeckt wurde, aber letztendlich nicht an Wacker herankommt.
Vielleicht spielt da auch ein Ost-West-Gefälle eine Rolle – dass diese Periode in Wien nicht so im Fokus stand und daher lange nicht wahrgenommen wurde.
Es sind ja rund 200 Exponate zusammengekommen. Wie wurde die Auswahl getroffen, insbesondere im Hinblick auf die Referenzwerke von Künstlern wie Otto Dix oder Anton Räderscheidt?
Wir haben uns dabei eigentlich auf die vorherige Ausstellung bezogen, weil da ja schon einige gute Arbeiten vorhanden waren, die wir einfach übernommen haben. Es war uns auch wichtig, den Fokus klar auf Wacker zu legen. Wenn man einen Künstler nach so langer Zeit einem neuen Publikum vorstellt, kann zu viel Vergleichsmaterial eher verwirren als nützen.
Nur ganz punktuell haben wir Kontraste gezeigt – zum Beispiel: Was hat Wacker nicht gemalt, was andere schon? Oder welche Motive – wie etwa der Kaktus – haben auch andere Künstler übernommen?
Was uns besonders freut und, glaube ich, auch wichtig ist: Wir konnten das Selbstporträt von Otto Dix zeigen und es einem Selbstporträt von Wacker gegenüberstellen. Man sieht direkt, dass Dix sich auf das Bild bezieht, das er ein Jahr zuvor in einer Ausstellung gesehen hat.
Ich fand es sehr interessant, die Zitate von Wacker zu lesen, in denen er sagt, Bilder sollten wie Bücher agieren und Zeichnungen wie Briefe. Inwiefern spielt Wackers schriftliches Œuvre (Tagebücher, Briefe) eine Rolle in der Ausstellung, und was erzählen uns diese über den Künstler?
Ja, das ist ein sehr guter Hinweis. Es war uns ganz wichtig zu zeigen, dass Wacker nicht nur als Künstler wahrgenommen wird, sondern auch als großer Leser – letztendlich als Intellektueller, als sehr gebildeter Mensch. Er hatte für die damaligen Verhältnisse eine sehr große Bibliothek und hat im Laufe seines Lebens eine unglaubliche Menge und Vielfalt an Literatur gelesen.
Er hat aber auch selbst viel geschrieben – Tagebücher, viele Briefe. Das ergibt ein Gesamtkonzept: Maler, Schreiber, Leser – das geht bei ihm ineinander über. Seine Bilder wirken wie gemalte Tagebucheinträge, und seine Sprache ist so lebendig und beredt, dass man darin auch Bilder sieht. Es gibt eine sehr schöne Wechselwirkung zwischen Wort und Bild.
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Bei Wacker erkennt man oft eine geheimnisvolle Stimmung. Steht das im Einklang mit seiner Lektüre oder seinen Interessen?
Nein, in seinen Aufzeichnungen ist er sehr nüchtern, fast analytisch. Er schreibt viele Rezensionen über Ausstellungen, die er gesehen hat, und geht dabei sehr klar und unsentimental vor. Geheimnisvoll ist er nicht – eher reflektierend, philosophisch denkend.
Ich glaube, die Erkenntnis war für ihn, dass Bilder eine andere Sprache haben als Worte. Und dadurch werden sie unweigerlich geheimnisvoll.
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Wacker hat sich intensiv mit seiner eigenen Identität auseinandergesetzt, insbesondere in seinen Selbstporträts, aber auch mit seiner Umwelt. Inwiefern beeinflussten die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der 1920er- und 1930er-Jahre sein Werk?
Sehr stark. Er ist ein Kind seiner Zeit – einer Zeit, in der man sich nicht gewünscht hätte, dabei zu sein. Er hat die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sehr wach wahrgenommen und kommentiert, soweit es möglich war.
Nach seiner Kriegsgefangenschaft hat er sich erst einmal stark mit sich selbst beschäftigt. Das waren ja auch die wilden 1920er – eine Zeit voller Hoffnung, aber auch mit ein bisschen Wahnsinn. Das spürt man in seinen Bildern: Sie sind laut, die Farben haben eine große Leuchtkraft, viele verschiedene Objekte stehen im Raum. Man merkt richtig, wie es in seinem Kopf brummt und wie er voller Kraft ins Leben stürzt.
Dann kam der wirtschaftliche Zusammenbruch 1929, und die politische Situation wurde immer angespannter. In dieser Phase reagiert er mit einem Rückzug der Gegenstände: Er thematisiert Leere, das Spannungsverhältnis zwischen den Objekten. Er findet verschiedene Mittel, um diese wachsende Beklemmung auszudrücken. Es gibt also eine starke Wechselwirkung zwischen Kunst und Zeitgeschehen.
Könnte man sagen, dass er seine Zeit kommentiert – aber subtil?
Genau. Er selbst sagt ja, dass man immer verschlüsselter und geheimnisvoller werden müsse. Er hatte Angst – und sicher auch keine Lust, noch einmal ins Gefängnis zu kommen. Also hat er sich einen Bildkodex geschaffen, den man eigentlich nicht entschlüsseln kann. Er ist sehr eigeninterpretativ und er gibt auch keine Hinweise darauf.
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Das wäre meine nächste Frage gewesen. Seine Stillleben sind oft mit Fundstücken, Puppen oder verwelkenden Pflanzen komponiert. Gibt es Hinweise darauf, dass er diese Objekte bewusst als symbolische Chiffren eingesetzt hat, oder handelt es sich um eine sehr persönliche Sprache, wo man quasi jetzt nur darüber rätseln kann, was gemeint war?
Genauso ist es. Die Objekte, die er zeichnet, die ändern sich. Wie gesagt, in den 20er Jahren geht es sehr stark um ihn als Persönlichkeit und auch um seine Beziehung zur Frau, zu seiner eigenen Frau, zu anderen, zu seinen erotischen Bedürfnissen und Erlebnissen. Es finden sich seine Souvenirs aus Reisen oder eben auch aus der Gefangenschaft. Jedes Bild ist ein Porträt seiner selbst.
Und in der späteren Phase interessiert er sich nicht mehr so sehr für sich, interessiert sich auch nicht mehr für das Zwischenmenschliche und das privat Zwischenmenschliche. Man hat fast ein bisschen das Gefühl, als ob er einen Bannkreis um sich schafft an Fetischen und Dingen, die das Böse auch abwenden oder es stark thematisieren.
Wenn man das einmal ein bisschen in dieser Hinsicht verstanden hat, dann kommt man vielleicht schon zu Interpretationen, die schlüssig sind – aber vielleicht hat er sich wieder ganz was anderes gedacht. Man kriegt so ungefähr mit, wie er mit diesen Objekten eine Aussage trifft.
Wacker bewegte sich vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit. Gibt es Werke in der Ausstellung, die diesen stilistischen Übergang besonders gut sichtbar machen?
Wir haben einen Raum, wo wir auch die Objekte aus seinem Nachlass in Vitrinen zeigen, die sich dann in den umgebenden Stillleben-Bildern wiederfinden. Und da sieht man schon: Ein Teil der 20er Jahre ist noch von Horror Vacui geprägt, da ist er noch recht laut. Und auf der anderen Seite gibt es dann die Glätte und diese Makellosigkeit.
Was man aber sagen muss: Er ist nie entweder hü oder hott, er ist auch immer viel dazwischen. Und er verwendet diese gestische, auch wenn man so will, expressivere Malweise auch noch später, vor allem, wenn er vor Ort Landschaften oder Stadtprofile malt, sehr gestisch und impulsiv arbeitend, dem Moment geschuldet.
Und diese Motive nimmt er dann mit und arbeitet sie später im Atelier in so feine neu sachliche Bildwelten um. Da sieht man sehr schön die Gedankenweise des Künstlers: vom Unmittelbaren hin zum Reflektierenden und Intellektualisierenden.
Und die Ausstellung trägt den Titel „Magie und Abgründe der Wirklichkeit“. Wacker wird auch als Magier des Alltäglichen beschrieben. Was sind noch so Schlagwörter neben dem Magischen, die man für Wacker verwenden könnte, wenn man ihn in wenigen Worten beschreibt? Du hast auch noch gesprochen von dem Intellektualisieren und der Reflexion. Gibt es noch andere Schlagwörter, die auf Wacker und seine Entwicklung zutreffen?
Ich würde ihn einfach als einen ganz großen Erzähler präsentieren. Damit ist wahrscheinlich das meiste gesagt, weil jede Erzählung auch eine Art von Magie ist oder eine Unterwelt sozusagen.
Er war ein Unterhalter, sehr gesellig und durchaus humorvoll. Man hat sich wirklich gern mit ihm unterhalten – er hatte viel zu erzählen und wusste auch viel. Diese Erzählweise ist auch in seinen Bildern vorhanden. Deswegen ist es auch immer so schön, sich damit zu beschäftigen.
Es ist nicht nur deprimierend – eigentlich ist es gar nicht deprimierend. Er führt einen in die Tiefe des Lebens. Und das finde ich sehr schön.
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Was mich noch persönlich interessiert: Hat sich die Rezeptionsgeschichte über die Zeit verändert? Also wie Wacker heute wahrgenommen wird im Vergleich zu seiner eigenen Zeit?
Das glaube ich schon. Er hat ja immer in Bregenz gelebt. Für das normale Publikum war er sicher ein Spinner, rätselhaft und eigenartig.
Und es ist ja auch so – das gilt für alle Zeiten – dass der Betrachter natürlich langsamer im Entwicklungsschritt ist als der Künstler. Dieses bunte Potpourri und dann wieder diese so offensichtlich rätselhaften Konstruktionen konnte man natürlich nicht sofort verstehen.
Aber er hatte eben auch Sammler – gute Unternehmer, wohlhabende Leute –, die in den Gesprächen das auch verstanden haben und gemerkt haben, dass er ein Genie ist. Die haben ihn auch unterstützt bzw. seine Werke zu teuren Preisen gekauft.
Heute hat es auch länger gebraucht. Die Neue Sachlichkeit ist eine Periode, die man lange Zeit im musealen Betrieb kaum beachtet hat – das gilt nicht nur für Österreich, sondern auch für Deutschland. Es lag auch an der Zwischenkriegszeit: Man wollte lange nichts davon wissen.
Erst jetzt kommt das wieder. In der Forschung wird aus immer mehr verschiedenen Perspektiven beleuchtet, dass diese Kunstwerke auch technisch faszinierend sind.
Da hat sich natürlich schon etwas geändert. Das merkt man auch an den Rezensionen zur Wacker-Ausstellung – da ist jetzt eine ganz andere Offenheit und auch eine gewisse Wissensbasis vorhanden.
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Dann vielleicht noch als letzte Frage: Gibt es ein Lieblingswerk?
Mehrere, blöderweise. Ein Lieblingswerk ist für mich tatsächlich eines, das sich mit dem Nichts und der Stille auseinandersetzt. Es ist im vorletzten Raum, wo man nur mehr eine leere Vase, eine Maske, eine Muschel und eine Knoblauchknolle auf weißlich-grauem Grund sieht. Das ist unglaublich faszinierend.
Und diese späten welken Blumen-Stillleben haben auch eine besondere Faszination und Schönheit, die fast unerreicht ist.
Leopold Museum – Rudolf Wacker
Magie und Abgründe der Wirklichkeit
30. Oktober 2024 bis 16. Februar 2025
Das Leopold Museum Wien widmet dem österreichischen Maler Rudolf Wacker (1893–1939) eine umfassende Ausstellung unter dem Titel „Magie und Abgründe der Wirklichkeit“. Wacker, ein Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit, erlangte durch seine präzise Bildsprache und die geheimnisvollen Darstellungen von Alltagsgegenständen und Landschaften internationale Anerkennung. Mit zahlreichen Werken aus öffentlichen und privaten Sammlungen wird Wackers künstlerische Entwicklung vom späten Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit und seine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Realität der Zwischenkriegszeit aufgezeigt. Referenzwerke von Wackers Zeitgenossen wie Otto Dix, Alexander Kanoldt oder Anton Räderscheidt ergänzen die Schau. Kuratorin ist neben Laura Feurle die Kunsthistorikerin Marianne Hussl-Hörmann, Expertin für Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts im Dorotheum. Sie hat 2016 bis 2018 bereits drei Ausstellungen im Leopold Museum zu Theodor von Hörmann, Anton Romako und Olga Wisinger-Florian kuratiert.