In die Gegenwart gebeamt, wären ihr abertausende Follower auf Instagram & Co. sicher: Kaiserin Elisabeth von Österreich, auch „Sisi“ genannt, ist mehr als 120 Jahre nach ihrem Tod immer noch, und immer wieder anders, populär. Weltweit.
Zurzeit steht die Monarchin besonders hoch im Kurs: So werden nicht nur die Netflix-Serie „The Empress“, die deutsche Serie „Sisi“ des RTL-Streamingkanals TVNOW und die US-Reihe „Empress on her own“ produziert. Auch zwei Kinofilme der jungen Regisseurinnen Marie Kreutzer und Frauke Finsterwalder sind im Entstehen. Und die Buchneuerscheinung „Sisis Weg“ beleuchtet vor allem die Teenagerzeit der Kaiserin.
Warum gerade jetzt dieser Hype?
Die Gründe sind mannigfaltig. Sisi fasziniere die Menschen, sagt Georg Ludwigstorff. Seit 1995 stellt der Historiker die jährliche Kaiserhaus-Auktion des Dorotheum zusammen. Dabei wechseln persönliche Objekte der Monarchin, etwa seidene Spitzenschuhe, zu Höchstpreisen die Besitzer. „Es liegt an Elisabeths Macht“, ist der Experte überzeugt, „und auch an ihrer Schönheit. Ohne diese wäre sie nicht berühmt.“
Drama-Queen
Kaiserin Elisabeths Leben hat alles, was es für eine dramatische Erzählung braucht, auch deshalb trägt das 1992 – selbstverständlich in Wien – uraufgeführte Werk „Elisabeth“ die Bezeichnung „Musical-Drama“: vom märchenhaften Beginn über Jahre voller Schicksalsschläge bis zum gewaltvollen Tod. Sisis Schönheitskult, ihre Todessehnsucht, ihre Extremsport-Höchstleistungen, ihre Tierliebe oder auch ihre Kunst- und Poesie-Affinität sind legendär. So galt sie als eine der besten Reiterinnen Europas, hatte aus Liebe zum Meer einen Anker auf der Schulter tätowiert. Sie unterwarf sich Diäten, kreierte Schönheitsrezepte und ließ ihr meterlanges Haar in stundenlangem Prozess pflegen und arrangieren …
Was macht die Person Sisi immer wieder aktuell, speziell derzeit?
„Viele der Themen, die man mit ihr verbindet, sind allgemein menschliche“, meint die Wiener Historikerin Martina Winkelhofer, „nur spielen sie sich in Sisis Fall in einem prunkvollen, luxuriösen Setting ab“: alles rund um Kinder, etwa Ablösungsprobleme oder gar Kindstod, der Schwiegermutter-Komplex, Beziehungsprobleme, Schönheits- und Körperbilder, das Hadern mit dem Älterwerden.
Von Süß bis Gothic
Martina Winkelhofer stellt in ihrem im September erschienenen Buch „Sisis Weg“ Elisabeth anhand historischer Quellen ganz als „Kind ihrer Zeit“ dar, zeigt in einer Art Coming-of-Age-Geschichte den Weg vom fremdbestimmten Mädchen zur selbstbestimmten Frau – hochaktuell für jede Generation. „Sie wurde immer aus der jeweiligen Zeit heraus interpretiert“, so die Autorin im Gespräch mit Dorotheum myART MAGAZINE: „Ein süßes Mädel in den 1950er-Jahren, verkörpert von Romy Schneider in den Ernst-Marischka-Filmen. Eine Feministin und Esoterikerin in den 1980er-Jahren. Eine große Individualistin in den 1990ern, und in den 2010ern ein Gothic-Vorbild.“ Von Zeremonialprotokollen des Wiener Hofes ausgehend, beschreibt Winkelhofer eher einen schüchternen Teenager denn einen rebellischen Geist. Der sei ihr angedichtet worden. „Im Gegenteil: Sie war perfekt akklimatisiert. Die große Zäsur gab es erst nach dem Tod des ersten Kindes 1857.“
Kaiser Franz Joseph ist für die Wiener Historikerin der Schlüssel zum Mythos Sisi, „weil er ihr alle Freiheiten ermöglichte“ – sehr zum Ärger des restlichen Hofes. Von der ersten Begegnung an, bei der sich der junge Kaiser in seine damals 15-jährige bayrische Cousine Elisabeth verliebt hatte, vergötterte er sie … bis zu ihrem Tod im Alter von 61 Jahren. Auch deshalb konnte Elisabeth, so Winkelhofer, eine für ihre Zeit außergewöhnliche Entwicklung durchmachen.
Alte Frau mit 40
Das Älterwerden ist großes Thema in Marie Kreutzers filmischer Sisi-Interpretation, während die deutsche Regisseurin Frauke Finsterwalder, die mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Christian Kracht, auch das Drehbuch verfasste, ihren Film „Sisi und ich“ aus der Sicht einer Wiener Hofdame als feministisches Reise-Movie und schwarzhumoriges Drama anlegt.
Marie Kreutzers bereits abgedrehter Film „Corsage“ setzt an, als Sisi mit 40 Jahren offiziell als alt gilt. „Es geht mir dabei um den Konflikt: Was ist sie noch, wenn sie nicht mehr diese junge schöne Kaiserin ist?“, so die Wienerin im Interview. Die Aktualität von Sisi sieht Kreutzer „in der Überspitzung von all dem, worum es auch in unserem Leben geht: dem Versuch, alles richtig zu machen, ein perfektes Bild abzugeben.“ Für die Regisseurin erklärt das auch boomende Serien wie „The Crown“ oder „Bridgerton“, die sich im Umfeld von Königshäusern abspielen: „Mich interessiert dabei zuzusehen, wie viel Kraft aufgewendet werden muss, dieses Bild von Perfektion und Etikette aufrechtzuerhalten.“
Auf die Person Sisi kam Kreutzer durch Vicky Krieps. Die luxemburgische Schauspielerin hatte sie am Rande eines anderen Filmprojektes vor einigen Jahren gefragt, ob das nicht ein Filmthema wäre. Damals habe sie gelacht, meint die Filmemacherin, aber etwas sei hängengeblieben. Und Krieps, zuletzt zu sehen im Hollywood-Horrordrama „Old“, bekam die Sisi-Rolle. Als Franz Joseph steht ihr Florian Teichtmeister zur Seite. Frauke Finsterwalder besetzte die Titelrolle mit Susanne Wolff, für TVNOW spielt Dominique Devenport Sisi, in der Netflix-Serie die Schauspielerin Devrim Lingnau.
So viel wir auch über sie wissen: Sisi ist schwer fassbar. Das macht sie wiederum zur idealen Projektionsfläche. Anders als bei politischen Figuren, etwa der Regentin Maria Theresia, ist der Interpretationsspielraum bei ihr größer. Es gibt zwar historische Fixpunkte. Aber dazwischen, da liegt der Stoff, der – gegenwärtig wieder besonders – inspiriert.