Raster und Farbfelder: Die Gemälde des amerikanischen Künstlers Stanley Whitney oszillieren zwischen Kontrolle und Freiheit, zwischen Prämeditation und Improvisation. Impulsgeber ist unter anderem Jazzmusik.
Mit seinem innovativen Ansatz der Farbabstraktion ist Stanley Whitney, geboren 1946 in Philadelphia, zu einer führenden Figur der internationalen zeitgenössischen Kunst geworden. Seine künstlerische Ausbildung begann am Kansas City Art Institute und endete, nachdem er 1968 nach New York gezogen war, mit seinem Master of Fine Arts an der Yale School of Art.
Im Laufe seiner Karriere entwickelte Whitney eine unverwechselbare künstlerische Sprache, die durch geometrische Komposition von Farbfeldern gekennzeichnet ist. Seine Werke bringen zum Ausdruck, wie es Whitney gelingt, an einer strengen formalen Ordnung festzuhalten, ohne die Spontaneität der malerischen Geste aufzugeben: Sie sind lebendig und ausdrucksvoll.
Die Erfahrung Italiens, insbesondere der Aufenthalt in Rom in den 1990er-Jahren, hat seine künstlerische Entwicklung grundlegend beeinflusst. Die Konfrontation mit der Kunst des Neoklassizismus und der Renaissance, der Architektur und der historischen Schichtung der Stadt wirkte sich auf sein Verständnis für Komposition und Bildraum aus. Bis heute bildet Italien eine ständige Inspirationsquelle für Whitney, der sich über lange Zeitabschnitte in seinem Studio in der Nähe von Parma aufhält.
Unter den Referenzen für Whitneys heute in renommierten internationalen öffentlichen Sammlungen – darunter jener des Solomon R. Guggenheim Museum in New York – vorhandene Kunstwerke finden sich auch einige große Meister des 20. Jahrhunderts. Piet Mondrian lieferte ein strenges Paradigma für die geometrische Abstraktion, Giorgio Morandi beeinflusste die kompositorische Präzision und die meditative Qualität von Whitneys Werk und Mark Rothko führte durch seinen intensiven Gebrauch von Farbe eine emotionale Dimension ein. Darüber hinaus bereicherten Improvisation und Rhythmik der Meister des Bebop und Free Jazz wie John Coltrane, Thelonious Monk und Charlie Parker Whitneys Bildsprache und verliehen seinem Werk eine dynamische und experimentelle Qualität.
In einem kürzlich mit Louise Neri geführten Interview unterstreicht der Künstler selbst den entscheidenden Einfluss des Hörens der Väter des amerikanischen Jazz: „Als ich in der High School war, etwa 1964, hörte ich ,The Shape of Jazz to Come‘ von Ornette Coleman, ,A Love Supreme‘ von John Coltrane, Thelonious Monk, Charlie Mingus und andere. Diese Musiker waren große Entdeckungen für mich. Bis dahin hatte ich mir vorgestellt, in die Armee einzutreten! Aber als ich den Jazz entdeckte, wurde mir klar, dass es eine ganz neue Welt gab. Als ich dann auf die Kunstschule kam, dachte ich bei Cézanne an Charlie Parker und den Rhythmus.“
Stanley Whitneys charakteristische wie systematische Verwendung des Rasters mag auf den ersten Blick restriktiv wirken, dieser verwandelt sich jedoch in seinen Händen in ein Spielfeld für chromatische Erkundungen. Der Raster ist nicht ein bloßes Gerüst, sondern wird zu einer dynamischen Struktur, auf der der Künstler eine Sinfonie orchestrieren kann. Seine Werke suggerieren eine visuelle Melodie, in der jede Farbe ihre eigene Stimme hat und zur Gesamtharmonie beiträgt, aber ihre starke individuelle Identität behält.
Stanley Whitneys Werk ist ein brillantes Beispiel dafür, wie Struktur und Freiheit in einem dynamischen Gleichgewicht koexistieren können. Seine Fähigkeit, einem scheinbar statischen Raster Leben und Bewegung einzuhauchen, offenbart nicht nur seine technische Meisterschaft, sondern auch ein tiefes Verständnis für die evokative Kraft der Farbe. Mit jedem Werk lädt Whitney den Betrachter ein, eine Welt zu erkunden, in der Geometrie und Emotion, Ordnung und Ausdruckskraft aufeinandertreffen und sich zu einem einzigartigen und fesselnden visuellen Fest vereinen.
AUKTION
Zeitgenössische Kunst I, 20. November 2024, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386