
Vom Tafelwein zum Toscana IGT: Die 1980er-Jahre in Italien und die Renaissance des italienischen Weinbaus. Eine Erfolgsgeschichte.
VON OTHMAR KIEM
Zu Beginn der 1980er-Jahre war das Renommee des italienischen Weins alles andere als glänzend. Für viele Italiener war Wein vor allem ein unentbehrlicher Begleiter zum Essen – weniger jedoch ein Genussmittel von hoher Qualität. Weinberge und Weingüter waren primär auf Menge ausgerichtet, was zulasten der Güte ging. Doch in dieser Dekade wurden die Weichen für eine tiefgreifende Qualitätsrevolution gestellt, die den italienischen Weinbau nachhaltig veränderte.
Ein Paradebeispiel für diesen Wandel war der Chianti Classico. Damals schrieb das Regelwerk noch vor, dass neben der roten Hauptrebsorte Sangiovese weiße Trauben wie Trebbiano oder Malvasia Bianca in die Cuvée einfließen mussten. Ein erster Pionier, der sich über diese Vorschrift hinwegsetzte, war Enzo Morganti vom Weingut San Felice. Bereits mit dem Jahrgang 1968 brachte er den Vigorello auf den Markt, der ausschließlich aus Sangiovese gekeltert wurde – ganz ohne weiße Trauben. Zwei Jahre später folgte Antinori mit einem bahnbrechenden Schritt: Er vinifizierte einen Chianti Classico aus der Einzellage Tignanello, der ab dem Jahrgang 1971 ebenfalls keine weißen Trauben mehr enthielt. Damit verlor der Wein jedoch seinen Status als Chianti Classico und musste als einfacher „Vino da Tavola“ deklariert werden. War das ein Nachteil? Ganz im Gegenteil! Der Tignanello war ein voller Erfolg: Mehr als 100.000 Flaschen wurden bereits vom ersten Jahrgang verkauft, der Wein fand reißenden Absatz.
Parallel dazu erregte ein weiterer revolutionärer Wein große Aufmerksamkeit: der Sassicaia. Die Tenuta San Guido an der toskanischen Küste setzte auf Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc – eine absolute Neuheit für die Region, die bis dato fest in der Hand des Sangiovese war. Ab Mitte der 1970er-Jahre wurde der Sassicaia offiziell von Antinori vertrieben und ebnete den Weg für eine völlig neue Kategorie von Weinen.
Zu Beginn der 1980er-Jahre war der Moment gekommen, um den nächsten großen Sprung zu wagen. In einer regelrechten Welle kamen neue, innovative Weine auf den Markt. 1980 wurde der Cepparello von Isole e Olena vorgestellt, gefolgt von Sammarco (Castello dei Rampolla, 1980), Flaccianello (Fontodi, 1981), Coltassala (Volpaia, 1981), Camartina (Querciabella, 1981), Cabreo (Ruffino, 1982) sowie Fontalloro (Fèlsina) und Percarlo (San Giusto a Rentennano), beide aus dem Jahrgang 1983. All diese Weine liefen unter der unscheinbaren Bezeichnung „Vino da Tavola“.
Es war der britische Master of Wine Nick Belfrage, der diese neuen toskanischen Weine erstmals treffend als „Super Tuscans“ bezeichnete. Das Epizentrum der Revolution lag im Chianti-Classico- Gebiet, das besonders unter einem schlechten Image litt. Chianti Classico wurde oft zu Spottpreisen gehandelt, und es schien fast, als seien die berühmten Bastflaschen als dekorative Kerzenhalter gefragter als der Wein darin. Doch die neuen Vini da Tavola zeigten, dass Italien mehr zu bieten hatte: Sie konnten sich endlich mit den besten Weinen der Welt messen. Wie Paolo De Marchi von Isole e Olena es formulierte, war dies der entscheidende Wendepunkt für die italienische Weinqualität.
Seit diesen wegweisenden Jahren sind viele weitere herausragende Weine hinzugekommen, von denen zahlreiche noch immer zur Spitze der italienischen Weinlandschaft zählen. Mit der Reform des italienischen Weinrechts im Jahr 1995 erfuhren die einst als Vino da Tavola deklarierten Weine durch die geschützte Herkunftsbezeichnung „Toscana IGT“ schließlich offizielle Anerkennung und Aufwertung. Die Revolution der 1980er-Jahre hatte sich endgültig durchgesetzt – und die Welt des italienischen Weins nachhaltig verändert.
Othmar Kiem ist Chefredakteur und Direktor von Falstaff Italien.