Warum Bordeaux den Fine Wine Markt beherrscht

Ein Blick auf das Handels- und Auktionsgeschehen zeigt: Keine Herkunft wird so häufig und so leidenschaftlich gehandelt wie Bordeaux. Das hat drei gute Gründe.

Chateau Haut Brion ©Domaine Clarence Dillon
Chateau Haut Brion © Domaine Clarence Dillon

Am Freitag, dem 10. April 1663, schreibt Samuel Pepys, ein damals 30-Jähriger, der gerade dabei ist, im englischen Marineamt Karriere zu machen, in sein Tagebuch: „Ich verließ die Börse mit Sir J. Cutler und Mr. Grant, wir gingen in die Royall Oak Tavern, wo wir den Dichter Alexander Broome trafen […], und hier tranken wir eine Sorte französischen Weins names Ho Bryan, dem ein guter Geschmack zueigen war, der besonderste, den ich jemals angetroffen habe.“ Den von Pepys genannten Wein namens „Ho Bryan“ kennen wir auch heute noch. Es handelt sich um Château Haut Brion, das Premier Cru Classé aus Pessac, einer inzwischen mit der Stadt Bordeaux verschmolzenen Gemeinde mit bemerkenswerten Kiesböden. Samuel Pepys’ Tagebucheintrag dokumentiert nicht mehr und nicht weniger als das Erscheinen dieses Weins unter eigenem Namen auf dem englischen Markt, den Beginn der Etablierung einer Marke. Bevor Arnaud de Pontac, der damalige Eigentümer Haut Brions, unter Umgehung der üblicherweise beteiligten holländischen Kaufleute den direkten Handelskontakt mit der aufnahmefähigen Londoner Weinszene herstellte, waren Bordeauxweine stets anonym gehandelt worden. Der Ruhm der Marke „Bordeaux“ war dadurch bereits angelegt, doch erst die – auch preisliche – Unterscheidung einzelner Weingüter sollte die Herkunft Bordeaux zu einem Mythos werden lassen.

Klassifikation schafft Sicherheit und Vertrauen

© Domaine Clarence Dillon
© Domaine Clarence Dillon

Grund Nummer eins für die Dominanz Bordeaux’ auf dem Markt für sammelwürdige Weine ist demzufolge die lange zurückreichende Handelsgeschichte. In den vergangenen 350 Jahren hatten die Marktteilnehmer reichlich Zeit, das Weingut Haut Brion, und Dutzende andere, in allen Details kennenzulernen. Insbesondere konnten sie die Langlebigkeit dieser Weine erfahren – nicht der unwichtigste Faktor, um Wertstabilität und Wertzuwachs einzuschätzen. Die Preisfindung für die Weine einzelner Châteaus und Jahrgänge war bereits am Ende des 18. Jahrhunderts so weit abgeschlossen, dass sich die prozentualen Auf- und Abschläge zwischen Weinen der verschiedenen Güteklassen bis zum heutigen Tage im Großen und Ganzen reproduzieren. Aus den im 18. Jahrhundert zirkulierenden Listen des Handels entstanden schließlich die ersten gedruckten Weinführer – und diese entfalteten eine enorme Wirkung. Als beispielsweise im Jahr 1824 der deutsche Weinhändler William Franck seinen „Traité sur les vins du Médoc“ publizierte, war das Buch innerhalb kurzer Zeit vergriffen. Der Guide hatte die namhaftesten Weingüter in zunächst vier (in späteren Auflagen fünf) Güteklassen eingeteilt, mit einer genauen Angabe, wie viele „Tonneaux“ (Fässer von 900 Litern Fassungsvermögen) die einzelnen Châteaus in einem durchschnittlichen Jahr erzeugen.
Auch Preise zurückliegender Jahrgänge listet Franck tabellarisch auf. In ihrer Grundstruktur ist das bereits die Liste, die 1855 anlässlich der Pariser Weltausstellung in einen offiziellen Rang erhoben wurde und die als Klassifikation des Médoc noch immer Gültigkeit besitzt. 

Krisen werden überwunden

© Domaine Clarence Dillon

Grund Nummer zwei für die Dominanz Bordeaux’ ist also die Stabilität, die von einem Klassifikationssystem ausgeht. Zufallspreise, wie sie bei Weinen aus weniger stark hierarchisch strukturierten Wein-Herkünften auftreten können, sind auf dem Bordeauxmarkt praktisch ausgeschlossen. Zu diesem Faktum trägt auch bei, dass die Weingüter – zumindest im Médoc – keine kleinen Besitztümer sind. Ein Premier Cru Classé wie Lafite Rothschild füllt immerhin pro Jahr etwa 100.000 Flaschen Grand Vin oder mehr ab. Burgund erzeugt mit Abstand rarere Weine als Bordeaux, manchmal nur 800 oder 1.000 Flaschen pro Etikett. Aber die größere Liquidität wird immer auf dem Bordeauxmarkt sein. In den vergangenen Jahren haben sich auch andere Herkünfte ihren Anteil am Fine-Wine-Markt gesichert. Italien etwa wird immer häufiger gehandelt, vor allem mit seinen Klassikern aus Piemont und Toskana, aber auch Kalifornien gewinnt mit seinen Kultweinen zunehmend an Bedeutung. Viele Bewährungsproben, die Bordeaux bereits hinter sich hat, stehen diesen Wein-Herkünften als Teilnehmern auf dem Fine-Wine-Markt noch bevor. Bordeaux ist in den vergangenen Jahrhunderten aus Krisen immer wieder verändert, aber auch gestärkt hervorgegangen. Das ist Grund Nummer drei, warum dem Bordeauxmarkt ein so großer Vertrauensvorschuss zukommt. Ob Reblausinvasion, zwei Weltkriege oder Finanzkrise: Der monetäre Wert hochklassiger Bordeauxweine hat sich auch nach Abschwungphasen immer wieder erholt. Die Newcomer am Handelsgeschehen des Fine-Wine-Marktes müssen diesen Nachweis erst noch erbringen.

Ulrich Sautter ist seit 2014 Chefredakteur Wein bei Falstaff Deutschland, der gebürtige Konstanzer lebt und arbeitet in Hamburg.

 

WEIN AUKTION

5. Januar 2022

Online Katalog

Information: Philipp von Hutten

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