EISZEIT
Kälte und Eis illustrierte um 1590 Abel Grimmer in Bruegel’scher Manier. Die Arbeit, entstanden in der Kernzeit der sogenannten Kleinen Eiszeit, gibt Ausdruck sowohl von Leid und Not als auch von spielerischen Freuden.
Winterlandschaft
Im späten 16. Jahrhundert hielt in den vornehmsten Speisesälen wohlhabender Bürger Antwerpens und Amsterdams die Winterlandschaft als neuartiges Motiv Einzug in der gegenständlichen Malerei: Inmitten heiter-winterlicher Kompositionen waren Menschen dargestellt, die in der Kälte lachten und sich scheinbar des Lebens erfreuten, so auch in der „Winterlandschaft mit Eisläufern“ von Abel Grimmer (1570–ca. 1620) aus den 1590er-Jahren. Aus mittlerer Distanz und leicht erhöhter Perspektive sehen wir maskierten, elegant gekleideten Winterfrischlern beim Eislaufen zu, während ein grimmiges, altes Weib vom frisch verschneiten Ufer aus auf sie deutet. Der im prachtvollen Speisesaal vom knisternden Kaminfeuer gewärmte bürgerliche Gastgeber wird indes über die horrenden Heizkosten, die hungernden Bauern auf den Straßen und andere zuvor nie dagewesene Ärgernisse lamentiert haben, befand sich Europa doch fest im Griff der „Kleinen Eiszeit“.
Kleine Eiszeit
Zwischen den 1560er- und den 1680er-Jahren fiel die Durchschnittstemperatur um 2˚C, wodurch sich die Reifungszeit für Kulturpflanzen um drei Wochen verkürzte und Bäume langsamer wuchsen. Was die Schneeballwerfer in Grimmers Gemälde nicht vermuten lassen: Die Kälteperiode hatte katastrophale Folgen für eine Gesellschaft, die von Getreide und Nutzholz abhängig war; hinzu kamen die verheerenden Kriege zwischen Katholiken und Protestanten. Es herrschten Hunger und Misstrauen, was Grimmer
gleichsam zwischen den Pinselstrichen andeutet, indem er sich der Motivik Pieter Bruegels des Älteren (ca. 1525/30–1569) bedient: Der Jäger mit Kapuze im rechten vorderen Bildfeld, der sich mit einem erbeuteten Fuchs begnügen muss, war in ähnlicher Form bereits in Bruegels berühmtem Werk „Die Jäger im Schnee“ (ca. 1565; Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. 1838) vorgekommen; und auch das Motiv der gestikulierenden alten Frau ist nach Bruegel’schem Vorbild entstanden. Die Menschen vermuteten Hexerei oder Ketzerei hinter allem Unglück. Entsprechend weit verbreitet waren Darstellungen derselben.
Einflüsse und Motive
Der Hof und das Gewerbe schlugen sich mehr schlecht als recht durch, während die zugefrorenen Flüsse und Häfen kurzerhand zu Schauplätzen von Frostjahrmärkten umfunktioniert wurden, wie Frans Huys’ ebenfalls nach einem Entwurf Bruegels entstandener Kupferstich „Schlittschuhläufer am St. Georgstor in Antwerpen“ (ca. 1558) zeigt. Dessen Einfluss spiegelt sich auch in Grimmers Komposition wider, zumal im Gespräch der beiden Figuren, die soeben Schlittschuhe anlegen, oder im Ungeschick der stürzenden Eisläufer am linken Bildflügel. So heißt es denn auch in einem niederländischen Sprichwort: „Slibberachticheyt van ’s menschen leven“, womit der geneigte Betrachter daran erinnert sei, dass des Menschen Leben angesichts unseres rapiden Gleitens in die Klimakrise ein unsicheres ist.
AUKTION
Alte Meister, 10. November 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
alte.meister@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-403