Classic Week: Genrebilder des Biedermeier

FAMILIENGESCHICHTEN UND FESTTAGSFREUDEN

Genrebilder vermitteln uns das Gefühl, uns einen Einblick in die Lebenswelt der Biedermeierzeit zu gewähren. Prägende Maler dieser Zeit, wie Ferdinand Georg Waldmüller oder Rosalia Amon, schufen stimmungsvolle Familienszenen, die bis heute untrennbar mit unserer Vorstellung vom Wien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbunden sind.

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Ferdinand Georg Waldmüller
Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865) Der Besuch der Großeltern, Öl auf Holz, 49,5 x 36,5 cm, € 80.000 – 140.000
Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), Der Besuch der Großeltern, Öl auf Holz, 49,5 x 36,5 cm, € 80.000 – 140.000

Ferdinand Georg Waldmüllers Auffassung des Genrebildes verdeutlichen zwei Gemälde, die im November zur Auktion kommen und zugunsten der „sight loss charity“ der Vision Foundation, UK versteigert werden. Beide entstammen dem Spätwerk Waldmüllers, das sich durch einen flüchtigeren und offeneren Pinselduktus sowie starke Lichtwirkungen auszeichnet. Ab den 1840er-Jahren geriet Waldmüller zusehends in Konflikt
mit der Akademie in Wien und zog sich mehr und mehr in die Hinterbrühl im Wienerwald zurück, wo er sich verstärkt der Genre­malerei widmete. Die ländliche Bevölkerung und ihre einfachere Lebensweise inspirierten ihn zu mehrfigurigen Kompositionen, die von perspektivischen Verkürzungen und komplexer Verschränkung der Figuren geprägt sind. Der „Besuch der Großeltern“ thematisiert, neben der Wiedersehensfreude der verschiedenen Generationen, auch den Gegensatz von städtischer und ländlicher Lebensweise, der sich vor allem in der Farbpalette ausdrückt: Das Interieur der städtischen Wohnung sowie die Kleidung der erwachsenen Tochter sind in gedämpften, dunkleren Farben gehalten, wohingegen die Kleidung der Großmutter in den Primär­farben Rot, Blau, Gelb erstrahlt.

Ferdinand Georg Waldmüller, Vorbereitung zum Weinlesefest, 1860 Öl auf Holz, 63,5 x 81 cm, € 120.000 – 180.000
Ferdinand Georg Waldmüller, Vorbereitung zum Weinlesefest, 1860, Öl auf Holz, 63,5 x 81 cm, € 120.000 – 180.000

Ebendieser Farbdreiklang findet sich auch in den Figuren im Vordergrund der „Vorbereitung zum Weinlesefest“, eines großen Querformats, in dem die Handlung auf drei Ebenen im Bildraum gestaffelt ist: Wir blicken in das Halbdunkel eines typischen Presshauses, in dem einige junge Leute fröhlich damit beschäftigt sind, die alten Balken mit frischem Weinlaub für das Fest zu schmücken. Ungewöhnlich und expressiv ist vor allem die Lichtregie: Zwischen den direkten Lichtquellen,
Tür und Fenster, sowie der indirekten Beleuchtung von vorn gleichsam eingespannt, spielt sich das eigentliche Geschehen im verschatteten Mittelgrund ab. Die vielen kleinen Interaktionen der Figuren sowie die Stofflichkeit des bröckelnden Putzes an der Wand links oder des goldenen Strohs, das zwischen den Deckenbalken hervorblitzt, lenken den Blick auf immer neue Details.

Rosalia Amon
Rosalia Amon, Die welke Rosenknospe, 1847 Öl auf Holz, 54 x 44,5 cm, € 36.000 – 45.000
Rosalia Amon, Die welke Rosenknospe, 1847, Öl auf Holz, 54 x 44,5 cm, € 36.000 – 45.000

Technisch und kompositorisch stand Waldmüllers Schülerin Rosalia Amon, die als eine von wenigen Frauen an der Wiener Akademie studierte, ihrem Lehrer auf diesem Gebiet in nichts nach. Sie spezialisierte sich besonders auf Blumenstillleben, die sie fast hyperrealistisch auszuführen verstand. Auch in ihrem Genrebild „Die welke Rosenknospe“ stehen Blumen im Zentrum der Handlung: Ein junges Mädchen hält einen Topf mit einer Rosenpflanze im Arm und zeigt ihrer Mutter die verfrüht verwelkten Knospen. Weitere Attribute auf dem Tischchen im Vordergrund regen uns dazu an, diese Metapher zu entschlüsseln: Wir sehen eine Arzneiflasche und einen Silberlöffel sowie eine ovale Miniatur. Es könnte das Bildnis einer älteren Schwester sein, die wie eine welke Rosenknospe noch vor ihrem Erblühen zu einer erwachsenen Frau mit einer Krankheit zu kämpfen hatte. Meisterhaft versteht es Rosalia Amon, mit diesen kleinen Gesten und Anspielungen unsere Vorstellungskraft dazu zu inspirieren, aus dieser vermeintlichen Momentaufnahme Geschichten zu spinnen.

Rosalia Amon, Blumenstück mit Kamelien in silberner Vase, 1844, Öl auf Holz, 39,5 x 31 cm, € 25.000 – 35.000

Johann Matthias Ranftl Die jungen Reisigsammler, 1850 Öl auf Holz, 63 x 49,5 cm, € 18.000 – 25.000
Johann Matthias Ranftl
Die jungen Reisigsammler, 1850
Öl auf Holz, 63 x 49,5 cm, € 18.000 – 25.000

Johann Baptist Reiter und Eduard Ritter
Johann Baptist Reiter (1813–1890), Geschwisterliebe, Öl auf Leinwand, 25 x 19 cm, € 7.000 – 10.000
Johann Baptist Reiter (1813–1890), Geschwisterliebe, Öl auf Leinwand, 25 x 19 cm, € 7.000 – 10.000

Auch der aus Linz stammende Maler Johann Baptist Reiter sprengt mit seinen Bildwelten die allgemein üblichen Vorstellungen der Biedermeierzeit. In den 1850er- und frühen 1860er-Jahren entwickelte er eine eigene Auffassung des Kinderbildes; es zeichnete sich durch eine große Natürlichkeit und Gefühlsechtheit aus, die den bis dahin üblichen Kinderbildnissen zumeist fehlte.

Die Welt des Kindes beschäftigte auch Eduard Ritter, der wohl besonderen Gefallen daran fand, den Betrachter mit seinen erzählerischen Genrebildern zum Schmunzeln anzuregen. Im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Waldmüller, Amon oder Reiter fand er seine Inspiration jedoch weniger in Naturbeobachtungen und Alltagseindrücken als vielmehr in den Bilderfindungen der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Seine originellen Motive mit humoristischen Typisierungen wirken wie aus dem Leben gegriffen und sind somit zweifelsfrei wiedererkennbar. Ihm ging es nicht um eine moralisierende Botschaft, weshalb seine Bilder großen Anklang fanden.

Eduard Ritter, Die Dorfschule, 1845 Öl auf Holz, 65,5 x 79 cm, € 10.000 – 14.000
Eduard Ritter, Die Dorfschule, 1845
Öl auf Holz, 65,5 x 79 cm, € 10.000 – 14.000

In der „Dorfschule“ steht eine junge, schöne Mutter mit ihrem eingeschüchterten Kind dem als Sonderling charakterisierten Dorflehrer gegenüber. Die Attribute des Lehrers, Zylinder und Violine, sind gekonnt hinter ihm an der Wand und auf der Fensterbank platziert. Neben dem Hauptmotiv rechts im Vordergrund wird der Blick des Betrachters ins Klassenzimmer gelenkt. Dort raufen sich „schlimme“ Kinder; zwei von ihnen büßen im Mittelgrund bereits ihre Strafe ab, der eine steht im Eck und der andere wischt den Boden. Diese mehrfachen Bildebenen erzählen eine Geschichte und lassen im Bild Neues entdecken, wodurch diesem Genrebild ein besonderer Reiz anhaftet.

Diese Künstler und Künstlerinnen entwickelten jeweils eine eigene Bildstrategie,
gemeinsam ist ihnen allen jedoch, dass sich die im Bild verteilten Details wie
Mosaiksteine zu Geschichten zusammensetzen lassen.

AUKTION

Gemälde des 19. Jahrhunderts, 9. November 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

19.jahrhundert@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-355, 377

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