Dagobert Peche – In Szene gesetzt

Dagobert Peche, Three part seating set

Dagobert Peche war mehr als ein reines „Ornamentgenie“: Seine Einrichtungen, darunter jene für das Verkaufslokal der Wiener Werkstätte in Zürich, sind gleichzeitig monumental und zierlich, bühnenhaft und intim. Eine dreiteilige Sitzgarnitur ist Highlight der  Jugendstil-Auktion.

Von Wien nach New York, Berlin und Zürich: Die Wiener Werkstätte (WW) produzierte Kunst als Handwerk und Handwerk als Kunst für ein internationales, weltstädtisches Publikum Anfang des 20. Jahrhunderts.

Dagobert Peche, Mitglied der WW und von 1917 bis 1919 Leiter von deren Züricher Dependance, arbeitete nicht im von Otto Wagner propagierten Nutzstil. Er definierte den malerisch-romantischen Stil der WW-Blütezeit um 1915 mit; besonders, wenn er von der Schriftstellerin Berta Zuckerkandl als „das größte Ornamentgenie, das Österreich seit der Barocke besessen hat“, bezeichnet wird. Die im Mai zur Auktion kommende dreiteilige Sitzgarnitur ist ein schönes Beispiel für Peches Arbeiten.

Die alte Welt im Umbruch, eine gesellschaftliche Umstrukturierung: Die Zeit um 1900 war von Gegensätzen geprägt, und mit ihr, als ihr Spiegel gleichsam, die Kunst. Der Wunsch, das Ornament, den Kitsch der Zeit zu töten auf der einen Seite, die Sehnsucht nach vollkommener, reiner Zweckmäßigkeit auf der anderen. Die von Josef Hoffmann und Koloman Moser gegründete WW und ihre Produkte charakterisieren gut die Vorstellung der großbürgerlichen Gesellschaft, die Kunst und das Handwerk, den Alltag und die Realität, Nutzen und Dekoration betreffend.

Die Wiener Werkstätte in Zürich

 

Dagobert Peche übernahm nicht nur die Leitung der neu gegründeten Züricher WW-Filiale in der Bahnhofstraße, die nach dem Vorbild eines französischen Boulevards zur Pulsader der Stadt werden sollte, sondern auch deren Gestaltung. Er formte einen Raum, der, wie ein Zeitgenosse meint, „eine fremde Festlichkeit, gemischt aus exclusiver Eleganz und ländlichem Frohsinn“ ausstrahlte.
Erinnert die Fassadengestaltung noch an Hoffmanns Wiener Filiale, zeigt sich bei der Strukturierung des Innenraums Peches Vorstellung von Dekoration. Das naturalistische Dekor scheint sich zu verselbstständigen, vom Träger gelöst wachsen Blüten, Blätter und Stoffe in den Raum. Bei Peche steht, im Gegensatz zu Hoffmann, das Ornament für sich. Es definiert das Objekt, es ist das Objekt.
Einer Bühne gleich strukturiert Dagobert Peche den Verkaufsraum. Einerseits spielt er mit luftigen Vorhängen und künstlichen Blumengirlanden, simuliert damit Öffnungen und Leichtigkeit, andererseits baut er den Raum blockhaft, architektonisch auf, gliedert ihn mit Lisenen, Pfeilern und Architraven. Der Raum und seine Möbel sind die Bühne der Ware, ein idealer Schauraum.

Eine Bühne, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges vielen Intellektuellen Europas Platz bot. So sahen Thomas Mann, James Joyce oder Stefan Zweig ihr Exil in Zürich. Platz im wahrsten Sinne, wenn man von der dreiteiligen Sitzgarnitur spricht, die Dagobert Peche 1917 für das Verkaufslokal der WW in Zürich entwarf. Aus Holz geschnitzt, weiß lackiert, gepolstert und mit Stoff von Backhausen bezogen, boten die zwei Stühle mit dem runden Tisch Lenin wohl gerade nicht – auch weil er Zürich im April 1917 verließ –, aber anderen großen Denkern der Zeit sicherlich gut Platz und Stoff.

Peches Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Stilrichtungen, dem Rokoko wie dem Biedermeier, wird in dem Ensemble sichtbar. Gerne greift er darauf zurück, seine Möbel in einer Grundfarbe zu streichen und mit farbigem Stoffdekor Akzente zu setzen. Monumental einerseits, leicht, zierlich und verspielt andererseits. Dagobert Peche, Tuchexperte der Wiener Werkstätte und Gestalter schönster Ornamente, hat in Zürich mit dieser Sitzgarnitur dekorativ den Stoff der Zeit geformt.

___
Marie-Sophie Engel ist Kunsthistorikerin im Dorotheum.

No Comments Yet

Comments are closed




Auktions-Höhepunkte, Rekord-Preise und spannende Kunst-Geschichten. Mit dem Dorotheum Blog sind Sie immer am Puls des Auktionsgeschehens!


Archive