Ferdinand Georg Waldmüller: Facetten des Mitgefühls

Waldmüller

Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), Das gutmütige Kind (Der Bettler),
Öl auf Holz, 66 x 52 cm, Schätzwert € 150.000 – 200.000

Ferdinand Georg Waldmüllers meisterhafte Darstellungen menschlicher Stimmungen

In dem Genrebild „Das gutmütige Kind“, das zugunsten der „sight loss charity“ der Vision Foundation, UK versteigert wird, gelingt es Ferdinand Georg Waldmüller in einer scheinbar alltäglichen Szene die verschiedenen Facetten des menschlichen Mitgefühls auszuloten: Vor dem sonnenbeschienenen Hauseingang eines einfachen Gehöfts reicht ein etwa vierjähriges Kind einem alten Bettler, der einen schweren Sack geschultert hat und sich zu ihm herabbeugt, eine Semmel. Die Blicke des Kindes und des Bettlers treffen sich, und wir Betrachter erhaschen einen intensiven, ganz unverstellten Ausdruck des Mitgefühls in den Zügen des Kindes. Die Wirkung ist umso stärker, als auch das Heim der Gebenden Anzeichen der Einfachheit und Armut vermittelt: Der Verputz der dicken Hausmauer bröckelt. Und die Mutter, die mit einem jüngeren Geschwisterchen auf dem Arm in der Tür stehend die Szene beobachtet, ist in eine einfache Blaudruckschürze gekleidet und barfuß.

Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), Das gutmütige Kind (Der Bettler), Öl auf Holz, 66 x 52 cm, Schätzwert € 150.000 – 200.000
Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), Das gutmütige Kind (Der Bettler), Öl auf Holz, 66 x 52 cm, Schätzwert € 150.000 – 200.000

Auch ihr Gesicht zieht unsere Blicke an, ist es doch weniger eindeutig zu lesen. Es zeigt einen mitfühlenden, zugleich aber fragenden Ausdruck. Als Erwachsene scheint sie Hemmungen zu haben, ihr Mitgefühl so unverstellt wie ihr Kind zu zeigen. Sie weiß, dass die Semmel zwar den akuten Hunger stillt, jedoch keine nachhaltige Hilfe für den Bettler darstellt. Durch die Mutter gelingt es Waldmüller, das Thema des Mitgefühls auch über den Einzelfall hinaus auf eine allgemeinere Ebene zu heben.

Das jüngere Geschwisterchen auf dem mütterlichen Arm spielt die Szene für sich nach, indem es ein Stück Brot in zwei Hälften bricht. Es wirkt dadurch wie ein Appell an den Betrachter, es ihm gleichzutun. So lässt sich auch der üppige Rosenstock, der rechts aus dem kargen Boden wächst, wie eine abschließende Metapher lesen, dass menschliche Wärme auch unter härtesten Bedingungen blühen kann.

AUKTION

Gemälde des 19. Jahrhunderts, 7. Juni 2021, 16 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

19.jahrhundert@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-355, 377

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