AD KUNSTKAMMER
Die Magie des Einzigartigen – in ihrer Kunstkammer betrachtet Dr. Simone Herrmann alle 14 Tage für den Blog der Zeitschrift AD vom Condé Nast Verlag, ein Werk aus dem internationalen Kunsthandel. Folge 58, Teil 1: Spektakuläre Juwelenauktionen im Wiener Dorotheum.
Juwelen – eine Liebesgeschichte
Allerlei Geschichten knüpfen sich an Schmuckstücke. Meistens sind es Liebesgeschichten, glückliche und solche die tragisch enden. Manchmal kristallisiert sich Zeitgeschichte in ihnen. Oft sogar, sagt Astrid Fialka-Herics, Leiterin der Abteilung für Juwelen und Uhren im Auktionshaus Dorotheum in Wien. Das Auktionshaus ist das älteste und größte Mitteleuropas, gegründet 1707, ein Haus, dessen Angebot von spätgotischen Madonnen, Rubens und Ribeira über Klimt und Schiele, Möbeln von Josef Hofmann und den Keramiken der Wiener Werkstätte, von raren Bauernschränken bis zu Franz West und Gerhard Richter reicht; was Nachlässe europäischer Adelsdynastien betrifft, gilt es als das renommierteste weltweit. „Kaiserhaus“ sind manche Auktionen betitelt, man kann dort Schnupftabaksdosen von Maria Theresia, Schokoladentassen oder Kronleuchter, das Jagdgewehr Franz-Josephs I, oder, gerade im Angebot, ein Bettjäckchen von Kaiserin Elisabeth erstehen. Und das Flair der K. u. K-Zeit gleich mit dazu. Noblesse, Distinktion, ein Netz aus allerfeinsten Beziehungen, das so feingesponnen ist, weil es bereits seit 314 Jahren besteht.
Das gilt im besonderen für die Juwelen-Auktionen des Dorotheum, womit internationale Haute Joaillerie gemeint ist, Einzelstücke von Cartier, Bulgari, Buccelati, Van Cleef & Arpels, aber auch David Webb oder Suzanne Belperron, und solche, die einst zur Einflußsphäre des Habsburger Vielvölkerstaats gehörten wie der einstige K. u. K. Hof- und Kammerjuwelier A. E. Köchert aus Wien, in dessen Ateliers Sisis berühmte Diamantensterne entstanden, oder Häuser wie der Wiener Juwelier Schwarz, Francesco Sodo aus Neapel oder Petochi aus Rom.
Auch bei den spektakulären Verkäufen der letzten Zeit, spielt neben einer Halo-Tiara aus Aquamarinen von Cartier, die zwischen 37.000 und 70.000 Euro geschätzt und für 582.800 Euro zugeschlagen wurde, auch das Kaiserhaus eine Rolle, oder, wie Astrid Fialka-Herics sagt, die Provenienz. Wobei die Provenienz die Herkunft von einem berühmten Haus wie Cartier bezeichnen kann, aber auch, und das ist wohl noch spannender, die historische Bedeutung der einstigen Besitzer. Wie das Hochzeitsdiadem aus Diamanten und 15 Naturperlen der Erzherzogin Marie-Valerie, Sisis „Lieblingskind“, das am 10. Juli 2020 einen Preis von 442500 Euro erzielte. Mehr als viermal soviel wie der Schätzwert. Aber davon später mehr.
Diademe, ein wunderbares Thema
Überhaupt seien „Diademe ein wunderbares Thema, sagt Astrid Fialka-Herics. Und eine noch bessere Geldanlage, betrachtet man die Ergebnisse der letzten Jahre. Zwar sind die Zeiten vorbei, als sie auch zur Tafel getragen wurden, und eine fille sans dot, wie die Schriftstellerin Annette Kolb, zu Gast auf englischen Landsitzen oder böhmischen Schlössern, allerhand Kapriolen anstellte, um zu vertuschen, dass eben „grad keine zur Hand gewesen“ sei (und eine Kammerzofe schon gleich gar nicht), aber für große Hochzeiten, Bälle oder Galaempfänge sind sie noch immer gesucht. Und wer würde bei der Vorstellung, das Diadem einer Erzherzogin oder Prinzessin zu tragen, nicht doch die prosaische Bodenhaftung verlieren und „a bisserl schwebn“?
Die meisten Diademe sind wandelbar, können zu Broschen, Haarschmuck, Armbändern, oder, mit Zusatzelementen und Schließe, zu Colliers werden. Wobei das Halo-Collier von Cartier von den Vorbesitzern mit einem Verschluss versehen und offenbar als Choker getragen wurde. Ein bisschen „umgeschnallt“ sah das aus, jedenfalls nicht so sphärisch wie es „en diadème“ gedacht war, mit dem märchenhaften Nixenschein, den die Aquamarine und Diamanten ausstrahlen. Wie Glitzerndes Meerwasser und Diamantengischt. Wer es einst getragen hat, wer es wem zum Geschenk machte? Darüber ist nichts bekannt. Aber allein die Signatur: „Cartier London“ lässt an einen großen Auftritt denken. Bereits 1902 hatte das Pariser Haus eine neue Dependance in London eröffnet, nicht zuletzt um König Edwards VII. Faible für Juwelen von Cartier besser bedienen zu können. Edwards Bonmot: „Juwelier der Könige, König der Juweliere“ kam einem Ritterschlag gleich. Als Hoflieferant des britischen Königshauses erhielten die Pariser nicht nur Aufträge im Vorfeld der Krönungszeremonie Edwards VII., auch bei der Krönung seines Sohnes, George VI. im Jahr 1937 gingen aus Kreisen des Hofes 27 Bestellungen für Diademe bei Cartier ein. Ein wahrer Diadem-Boom. Alle wollten eine der fashionablen Halo-Tiaren; inspiriert von Krone und Heiligenschein der byzantinischen Herrscher auf den Mosaiken von San Vitale in Ravenna. Kaiser Justinian und Theodora I., Tochter eines Bärenwärters und Hetäre, die Kaiserin wurde. Das ließ an ein anderes, skandalumwittertes Paar denken, das bei der Krönung George VI zwar nicht geladen, aber natürlich immer gegenwärtig war. Edward VIII. und die geschiedene Wallis Simpson, für die er 1936, nur ein paar Monate zuvor auf den englischen Thron verzichtet hatte. Mrs. Simpson war Stammkundin bei Cartier. Heiligenschein-Tiaren kamen just in Mode, als sie sich noch Hoffnungen auf den Thron (oder zumindest eine morganatische Ehe) machen durfte. Und Aquamarine? Waren ihre Augen nicht huskyblau? Jedenfalls hätte das Strahlen-Diadem und die Steine, teilweise in Fantasieschliffen und zargenlos im avantgardistischen „mystery setting“ gefasst, nicht schlecht zur Allure der Herzogin von Windsor gepasst. Aber auch zu einer Blondine. Ein sirenengleiches Stück, das in jedem Fall.
Wer das Flappergirl war, das einst das diamantene Art déco-Bandeau trug? Mehr als dass es im Atelier des Wiener Juwelenhauses Schwarz gefertigt wurde, ist nicht bekannt. Schwarz sei berühmt für seine filigranen Entwürfe, die Platinfassungen und die Güte der Steine gewesen, erklärt Astrid Fialka-Herics, das Haus hatte internationales Renommee. „Das Diadem zählt zu meinen Lieblingsstücken“, verrät die Expertin, wie aus Diamanten geklöppelt sieht es aus! Prickelnd in seiner maßgefertigten Schatulle. Den Mittelteil könne man als Brosche anstecken. Man trug es als Stirnband, zum Bubikopf, zu swingenden Satinkleidern, ellbogenlangen Handschuhen, noch längeren Perlenketten und Hermelincapes. Man tanzte Charleston, dass es blitzte. Streng geometrisch, betörend filigran, aber leider – die Provenienz! Astrid Fialka-Herics seufzt.
Bei anderen Stücken klingt die Geschichte schon im Namen an: Habsburg, Savoyen… Juwelen aus großen europäischen Adelsfamilien, erklärt die Expertin, „werden in den meisten Fällen zur Auktion gegeben, um bei einer Erbteilung Streitigkeiten zu vermeiden, sofern es noch Erben gibt.“ So könne der aktuelle Marktpreis ermittelt werden und ein Familienmitglied hat die Chance, das Stück zurückzukaufen. Oder eben nicht, und jemand anderer bekommt den Zuschlag – und die Gelegenheit, mit den Juwelen eine eigene Familienhistorie zu begründen. Die Provenienz sei in jedem Fall, neben Materialien und erstklassiger Ausarbeitung, das Ausschlaggebende. Das Charisma, das in einem großen Namen wie Cartier oder Habsburg liege. Oder in einem Namen wie – Schratt.