Marmor ist das Material, dem Pablo Atchugarry Seele einhaucht. Streng und sensibel zugleich, verströmen die Skulpturen des uruguayischen Bildhauers zeitlose Eleganz. Zwei seiner Werke offeriert das Dorotheum in seiner Frühjahrsauktion.
Eine magische Mischung aus Seele, Kultur, archetypischen Symbolen und lateinamerikanischer Empfindsamkeit: Das sind die Merkmale der Kunst des 1954 in Montevideo geborenen uruguayischen Künstlers Pablo Atchugarry, den sein Vater Pedro von klein auf in die Welt der Malerei einführte. Bald jedoch verspürte er das Bedürfnis, sich auch in anderen Formen und mit anderen Materialien auszudrücken, und so setzte er ab 1975 großformatige Hochreliefs in Zement, Eisen und Marmor um. Atchugarrys Hochreliefs sind von Schlichtheit und neo-plastischer Strenge geprägt, wenngleich diese von jener Sensibilität, die im Kern eindeutig lateinamerikanisch ist und sein Werk stets kennzeichnet, gedämpft wird.
Im Jahr 1979 entdeckte Atchugarry, was zu dem Material schlechthin für ihn werden sollte: Carrara-Marmor. Damit begann seine Reise quer durch die Geschichte der Skulptur, von augusteischer Zeit bis heute.
Atchugarry – 1982 verließ er Uruguay, um sich im italienischen Lecco niederzulassen – bietet der Marmor eine Möglichkeit, zum Ursprung des Schöpferischen zurückzukehren, zu einem klassischen Konzept der Bildhauerei, das durch die Meisterwerke von Bernini, Canova, Rodin, Arp, Moore, Brancusi, Picasso, Hepworth, Bloc etc. immer wieder aktualisiert und gefiltert wurde.
Seit den frühen 1980er-Jahren verwendet der Künstler beinahe ausschließlich Marmor: Er besucht die Steinbrüche, in denen der Abbau stattfindet, und wählt die Blöcke aus, um das Material dann mit größter Sorgfalt durch Entfernung jener dreidimensionalen geometrischen Masse zu bearbeiten, welche die Seele seines Werks eingesperrt hat. Durch diesen Prozess tut Atchugarry nichts anderes als jenen Seelen Leben und Gestalt zurückzugeben, indem er Zug um Zug immer klarere, reinere und zeitlosere Strukturen schafft.
Michelangelo betrachtete die Bildhauerei als Kunst des Wegnehmens, um zum Vorschein zu bringen, was im Material bereits angelegt ist. Während aber der große Meister das Leben in den Marmorblöcken pulsieren fühlte und der verborgenen Gestalt nachspürte, folgt der uruguayische Künstler dem ausdrucksstarken musikalischen Rhythmus der Masse ohne bestimmtes Ziel. Am Ende steht Überraschendes, das aus dem magischen Gleichgewicht zwischen Fülle und Leere, zwischen Materie und Geist, Handwerk und Poesie geschaffen wurde: Bilder, rückgeführt auf ihre innere Essenz.
Die eindeutig kubistische Fokussierung auf die Beziehung zwischen Masse und Raum zieht sich wie ein roter Faden durch Atchugarrys Werk. Haben viele Kubisten den allmählichen Übergang von der geraden Linie, der die charakteristische prismatische Zerlegung entsprang, hin zu einer gebogenen Linie vollzogen, die immer freier von geometrischer Theoretisierung wurde, so ist auch im Werk Atchugarrys eine Entwicklung hin zu formaler Eleganz und raffinierter Empfindsamkeit erkennbar, die zum stilistischen Kennzeichen des Künstlers werden sollten.
Aufsteigende Spannung und Vertikalität sind weitere Konstanten in Atchugarrys Skulpturen. Das Streben nach formaler Reinheit und Unbeschwertheit findet in fließenden Formen Ausdruck, die schwerlich eine Entsprechung in der Realität finden.
Das Dorotheum kann nun bei der Auktion Zeitgenössische Kunst im Juni 2016 zwei wunderbare Werke dieses großen Künstlers präsentieren, der zunehmend die ihm gebührende internationale Anerkennung erfährt: eine Skulptur aus weißem Carrara-Marmor von 2008 und eine aus schwarzem belgischen Marmor aus dem Jahr 2006.
Die geheimnisvolle Eleganz des tiefschwarz leuch-tenden Marmors und die Makellosigkeit und Lichtdurchlässigkeit des weißen Marmors aus Carrara – gepaart mit der schlanken, aufstrebenden Linie und der Unfassbarkeit der Materie, welche klassische Faltenwürfe in Erinnerung ruft – verleihen den beiden Skulpturen einen kostbaren, zeitlosen Charakter. So werden sie laut Paolo Levi zu „Kathedralen, vor denen sich unsere Seele in Andacht verneigen kann, um das trügerische visuelle Echo zu überwinden“.
(myART MAGAZINE Nr. 07/2016)
Auktion Zeitgenössische Kunst Teil I
Mittwoch 1. Juni, 18 Uhr
Palais Dorotheum Wien
Auktion Zeitgenössische Kunst Teil II
Donnerstag 2. Juni, 17 Uhr
Palais Dorotheum Wien
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