Tamara de Lempicka: Still und ohrenbetäubend laut

Tamara de Lempicka, Vertreterin der Art-Déco-Malerei der 1920er-Jahre, verstand es auch in ihren späteren Arbeiten wie „Chambre d’hôtel“ Gegensätzliches miteinander zu verbinden.

Tamara de Lempicka gilt als eine der erfolgreichsten Frauen der Kunstgeschichte. Nach der Oktoberrevolution 1917 floh die gebürtige Polin, die damals in St. Petersburg lebte, nach Paris, wo ihr Aufstieg als Künstlerin begann. In den Cafés der französischen Hauptstadt, in denen de Lempicka verkehrte, begegnete sie Persönlichkeiten wie Georges Braque und Filippo Tommaso Marinetti.

Tamara de Lempicka, Chambre d’hôtel, um 1951 Öl auf Leinwand, 56 x 48 cm Schätzwert € 150.000 – 200.000
Tamara de Lempicka, Chambre d’hôtel, um 1951 Öl auf Leinwand, 56 x 48 cm Schätzwert € 150.000 – 200.000

 Ihre Gemälde, die eine starke visuelle Wirkung ausstrahlen, sind von dekonstruierten volumetrischen Formen geprägt; darin scheinen die Einflüsse des naturalistischen Kubismus und die Harmonie des italienischen Manierismus durch. Einen Großteil von de Lempickas Werk nehmen Porträts von Persönlichkeiten ein, die sie bei ihren Besuchen in Salons antraf. Die Dargestellten tragen reale Züge und sind zugleich symbolische Figuren; sie strahlen die Eleganz und den Reichtum der schönen Gesellschaft aus, der sie angehören. Auch die vielen Selbstporträts der Künstlerin zeugen von einem ausgeprägten Sinn für Lebensfreude und Vergnügen. Der kühle, glatte Malstil evoziert Theatralik, die Porträtierten wirken skulptural und monumental, der versteinerte Blick verbirgt jeden Anflug von Menschlichkeit. 

Nach Amerikareisen und Jahren des Erfolges erfuhr de Lempicka eine, wie sie es nannte, „Künstlerdepression“. Der permanente Druck, etwas zu schaffen und die Erwartungen ihres Umfelds zu erfüllen, führten zur Erschöpfung und zu einer kreativen Leere. Ab etwa 1930 ging die Künstlerin neue Wege, ihre Arbeiten nahmen eher meditative, nahezu religiöse Züge an. In ihrer Technik näherte sie sich einem hyperrealistischen und surrealistischen Stil an, wie das Gemälde „Chambre d’hôtel“ zeigt, entstanden in Amerika, wo de Lempicka nach der Flucht vor den Nazis eine neue Heimat fand: Die Raumsituation präsentiert sich zugleich still und ohrenbetäubend laut. Anders als in ihren früheren Werken fehlen Menschen, dafür bleibt Raum für eine weniger konstruierte Komposition, deren visuelle Wirkung aber starrer ist. Das Gemälde zeigt den Ausschnitt eines Hotelzimmers, in dem ein Spiegel den Raum vergrößert und eine Art Durchgang schafft. Die Komposition ist durchdachter, fast narrativ, wird nicht mehr vom Rahmen erdrückt, sondern scheint darüber hinauszugehen und lässt so den weiteren Kontext erahnen.

Information:

Alessandro Rizzi, Experte für Moderne und Zeitgenössische Kunst

AUKTION

Moderne, 29. November 2022, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

moderne@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

Blättern Sie durch unser aktuelles myART MAGAZINE!

No Comments Yet

Comments are closed




Auktions-Höhepunkte, Rekord-Preise und spannende Kunst-Geschichten. Mit dem Dorotheum Blog sind Sie immer am Puls des Auktionsgeschehens!


Archive