Jeder kennt die Wiener Werkstätte (WW) rund um Josef Hoffmann. Kaum jemand kennt die Frauen dieser Produktionsgemeinschaft. In einer längst fälligen Ausstellung stellt das MAK diese Künstlerinnen ins Rampenlicht. Berücksichtigt man ihr Schaffen, müsste die Kunstgeschichte neu geschrieben werden, sind sich Kuratorin Anne-Katrin Rossberg und Dortheum-Expertin Magda Pfabigan einig. Ein Gespräch.
ein neues Geschlechterverständnis
Magda Pfabigan: Gudrun Baudisch, Vally Wieselthier, Kitty Rix: Die Künstlerinnen der Wiener Werkstätte erzielen im Dorotheum regelmäßig hohe Preise. Dennoch sind sie auf dem Kunstmarkt lange nicht so präsent wie ihre männlichen Kollegen. In der Ausstellungsbilanz sieht es ähnlich aus.
Anne-Katrin Rossberg: Ja, die Ausstellung im Frühjahr 2021 im MAK war längst notwendig. An die 180 Künstlerinnen wurden im Zuge der Recherche aufgespürt, davon etwa 130 mit einer ausführlich belegbaren Biografie. Sie haben nun einen Namen, oft auch ein Gesicht, wir wissen mehr über ihre Herkunft und Ausbildung.
Pfabigan: Bei dem Thema „Frauenkunst“ bieten sich drei diskursive Aspekte an: Die berechtigte Anklage, dass der Ausschluss des weiblichen Geschlechts aus dem Kunstbetrieb eine Ungerechtigkeit ist . Die Frage, ob Frauen über einen anderen „Blick auf die Welt“ verfügen und ihre Darstellungen auf einem anderen Paradigma beruhen. Und schließlich die Frage nach einer speziellen Sichtweise gerade der Künstlerinnen der Moderne und der Wiener Werkstätte.
Rossberg: Die Wiener Werkstätte ist ein Sonderfall. 1916 hatten Josef Hoffmann und Dagobert Peche mit der Künstlerwerkstätte eine Art Auffangbecken für weibliche Kunstschaffende geschaffen, wo Frauen experimentieren und frei arbeiten konnten. Die Künstlerinnen wurden von den Professoren ausgewählt. Die künstlerische Produktion reichte vom Christbaumschmuck bis zur Gebrauchs und Originalkeramik.
Pfabigan: Es waren ja eher dekorative Objekte, Spielzeuge, Accessoires, die sie schufen. Die Objekte waren nicht vorrangig zweckorientiert. Widerspricht das nicht den frühen Ideen der Wiener Werkstätte?
Rossberg: Der Gebrauchswert ist ja eigentlich immer vorhanden – auch bei den dekorativen Arbeiten, die es von Anfang an gab. Die frühen Ideen waren vor allem dadurch bestimmt, Material und Gestaltung in Einklang zu bringen. Von dieser Arts-and-Crafts-Idee entfernte man sich mehr und mehr, vor allem, als Peche ab 1911 für die WW arbeitete. Er etablierte die dekorative, spielerische Richtung, die auch für die Künstlerinnen von großem Einfluss war.
Pfabigan: Peches Kunst hat in ihrer ornamentalen Sprache viele „weibliche“ Aspekte. Ich denke, jede Künstlerin der WW hatte einen eigenen künstlerischen Zugang. So lehnen sich zum Beispiel die modernen Formen von Vally Wieselthier stärker an Modigliani an als an Klimt und Schiele. Die Frauen zeigen neben den spielerischen Aspekten auch eine große Ernsthaftigkeit und Strenge, wie sie Gudrun Baudisch in ihren Köpfen zum Ausdruck brachte.
Rossberg: Ja, eigentlich müsste aufgrund der vielfältigen neuen Erkenntnisse die Kunstgeschichte neu geschrieben werden.
Pfabigan: Wer hätte auch gedacht, dass rund um den Ersten Weltkrieg in Wien auf einmal ein Rokoko-Revival gefeiert würde, mit geschickter Lässigkeit und erotischem Abenteuertum?
Rossberg: Das ist die eine Richtung. Sehr früh gab es aber auch die konstruktive, sachliche, geometrische Ausrichtung: Maria Likarz hat schon 1910 mit dem Stoffentwurf „Irland“ neue Maßstäbe gesetzt – noch vor dem Bauhaus. Überhaupt gab es in Wien sehr frühe Entwicklungen, die dem Bauhaus oder auch dem Art Déco vorgriffen.
Pfabigan: Nach dem Ersten Weltkrieg reagierten sie dann auf das Weltgeschehen mit einer stärkeren Weltabgewandtheit und schlugen eine unbeschwerte, spielerische Richtung ein.
Rossberg: Ja, die meisten Frauen der WW fühlten sich für etwas anderes zuständig; sie waren nicht politisch interessiert. Es gab aber auch solche, die durch ihre Mitgliedschaft im Österreichischen Werkbund oder in der Wiener Frauenkunst ein Statement abgaben.
Pfabigan: Verwendet man im Kontext von Wieselthiers Frauendarstellungen den Begriff „weibliche Secession“, dann offenbaren sich komplexe Typen. Sie sind im „Tun“ begriffen, das heißt bei einer Tätigkeit, zeigen sich zudem aber betont damenhaft und auch nachdenklich.
Rossberg: Auch die Frauen der WW erprobten neue Geschlechterrollen und gesellschaftliche Ordnungen: Sie traten mit Bubikopf und in männlicher Kleidung auf. Das Thema Rauchen war ebenfalls wichtig, sowohl als emanzipatorisches Moment als auch in Hinblick auf neue Erzeugnisse: Sie entwarfen Aschenschalen, Tabatieren und Streichholzbehälter, speziell für den Gebrauch durch Frauen.
Pfabigan: Auch Baudischs maskenartige Skulpturen mit ihren souveränen Kopfhaltungen stehen dafür. Teilweise sind aber die Augen geschlossen. Fragt sich nur, warum? Auf jeden Fall lässt sich festhalten, ob mit offenen oder geschlossenen Augen: In den Arbeiten, in der Produktionsweise, im Geschlechterverständnis der Wiener Werkstätte bricht eine neue Zeit an. Durch den Einsatz der expressiven Glasur ist tatsächlich Einzigartiges geschaffen worden. Es ging hier nicht um ein Ideal, sondern um eine andere, neue Form von Sprache, die auch philosophisch ihren Background hat.
AUKTION
Jugendstil und angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts
9. Juli 2020, 16 Uhr
mehr zur Kunst der Wiener Werkstätte
AUSSTELLUNGSTIPP
Die Frauen der Wiener Werkstätte
21. April 2021 – 3. Oktober 2021
MAK – Museum für angewandte Kunst