Ivan Aivazovsky: Meister des Pinsels, Herr der Meere

Ivan Aivazovsky Schiff

Ivan Aivazovsky, der vielleicht berühmteste russische Maler des 19. Jahrhunderts: ein Künstler, der nach eigenen Angaben mehr als 6.000 Bilder gemalt hat, der in Ausstellungen auf dem ganzen Globus gefeiert wurde und dessen Werke heute zu den Glanzstücken der Auktionssäle weltweit zählen, um die Sammler wetteifern. Ein Porträt.

Einst beauftragte Sultan Abdülhamid II. den Kämmerer, sich seines persönlichen Gastes Ivan Konstantinovich Aivazovsky bei einem von dessen Aufenthalten in Konstantinopel anzunehmen. Jahre später wurde besagter Kämmerer an die osmanische Botschaft nach Wien entsandt. Aufgrund seiner späten Ankunft in der Stadt sah er sich gezwungen, im Hotel zu nächtigen, wo er – als Fremder in ungewohnter Umgebung – zu seiner großen Freude dem ihm ehedem Anvertrauten in die Arme lief: Zufällig hatte auch Ivan Konstantinovich Aivazovsky im selben Hotel Logis bezogen. Bei der sich entspinnenden Unterhaltung wurde dem berühmten Maler rasch klar, dass den neu bestellten Diplomaten Heimweh plagte und er sein geliebtes Konstantinopel vermisste. Aivazovsky drückte ihm ein paar Zeitschriften in die Hand und verschwand im Nebenraum. Kurze Zeit später tauchte er wieder auf, um dem Diplomaten ein kleines Bild zu überreichen. Es war noch feucht und stellte das Goldene Horn im Mondschein dar. „Das habe ich für Sie gemalt“, sagte er, „damit Sie es immer ansehen können und Ihr wunderschönes Konstantinopel nicht so sehr vermissen.“

DOROTHEUM
Ivan Konstantinovich Aivazovsky, Blick auf eine Meerlandschaft mit einem Fotoporträt des Künstlers, Mischtechnik, 28x21cm, bzw. Malerei 10,5×7,2cm

 

Ivan Aivazovskys einzigartiges Leben

Aivazovskys Leben, das sich nahezu über das gesamte 19. Jahrhundert erstreckte, sucht in der Kunstgeschichte seinesgleichen: Er wurde 1817 in der düsteren Hafenstadt Feodossija am Schwarzen Meer geboren und starb ebenda am 19. April 1900 im Alter von 83 Jahren. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, schmierte der Junge armenischer Herkunft eines Tages mit einem Stück Kohle eine Zeichnung an die Wand eines benachbarten Hauses, was ihm prompt ein Stipendium an der Russischen Kaiserlichen Kunstakademie in St. Petersburg eintrug. In seinen Zwanzigern folgte der internationale Durchbruch: Er wurde von fünf europäischen Kunstakademien zum Ehrenmitglied ernannt, um ein Selbstporträt für den Palazzo Pitti in Florenz gebeten und machte die Bekanntschaft von vier russischen Zaren.

Am 2. September 1840 traf Aivazovsky in Rom ein. Bis zum Dezember bereiste er Venedig, Bologna, Florenz, Neapel, Sorrent, Amalfi und abermals Rom. In dieser Zeit fertigte er etliche Gemälde an. Den Sommer des Jahres 1841 verbrachte er in Süditalien am Golf von Neapel, wo er zu Ehren Sylvester Schtschedrins dieselben Motive abbildete wie jener zuvor. Es war das letzte Mal, dass Aivazovsky nach der Natur malte.

1842 begegnete Aivazovsky William Turner, der in jenem Jahr in Rom lebte. Der Engländer zeigte sich so tief beeindruckt vom Gemälde „Golf von Neapel in einer Mondnacht“, dass er es sich nicht nehmen ließ, auf Italienisch ein paar Worte der Hochschätzung für das Gemälde und seinen Schöpfer zu verfassen: „Vergeben Sie mir, Verehrter Meister, wenn ich geirrt und Ihre Arbeit für die Wirklichkeit gehalten habe, doch das Bild hat mich in seinen Bann gezogen und vollkommen überwältigt. Ihre Kunst ist erhaben und eindringlich, weil sie von Ihrem Genie beseelt ist.“ Die außerordentliche Wirklichkeitsnähe der Bilder Aivazovskys verblüffte demnach nicht nur den gemeinen Betrachter, sondern auch Kollegen.

 

Ivan Konstantinovich Aivazovsky, Schiff bei schwerer See, Öl auf Leinwand, 20,5 x 28,5cm, Erzielter Preis €283.300

 

Die Kunde von Aivazovskys großem Erfolg in Italien ereilte alsbald auch St. Petersburg, wo der Maler in Zeitungen gerühmt wurde: Papst Gregor XVI., so hieß es, habe das Gemälde „Das Chaos“ für den Vatikan erstanden, wo dem Autor des Artikels zufolge nur die Werke der „größten Künstler der Welt“ hingen.

Um Aivazovsky und seine Arbeiten ranken sich zahlreiche Legenden: Bei einer Ausstellung in Paris 1842 etwa witterte das Publikum einen Schwindel und musterte argwöhnisch die Bilder, hinter denen es Laternen oder andere Lichtquellen vermutete.

Nach dem Krimkrieg reiste Aivazovsky 1857 nach Paris, wo er 25 Gemälde anfertigte und mit bereits gewohntem Erfolg ausstellte. Während seines Besuches wurde er Napoleon III. vorgestellt, von dem er sich jedoch wenig beeindruckt zeigte, während er Kaiserin Eugenie überaus reizend fand. In Anerkennung seiner Errungenschaften wurde ihm der Orden der Ehrenlegion verliehen, was für einen Maler – zumal für einen ausländischen – ganz und gar außergewöhnlich war.

 

Ivan Aivazovsky Sinkendes Schiff
Ivan Aivazovsky, Sinkendes Schiff, 1889, Öl auf Mahagoniplatte, 26,9×20,6cm, Schätzwert €50.000 – 60.000, Auktion Gemälde des 19. Jahrhunderts, 23. April 2015

 

1870 begab sich Aivazovsky nach Florenz, wo an der Accademia di Belle Arti bei einer kleinen Werkschau sieben seiner Gemälde gezeigt wurden. Die Schau war winzig, der Ansturm umso größer. Aivazovskys Bilder hinterließen einen so starken Eindruck, dass die Professoren der Akademie ihn baten, ein Selbstporträt für den Palazzo Pitti anzufertigen – eine Ehre, die zuvor erst einem russischen Maler zuteil geworden war. Während seines Besuches in Florenz malte der Meister noch drei weitere Bilder.

Nach seinem Italien-Aufenthalt reiste Aivazovsky Mitte 1874 nach Istanbul – auf Einladung von Sultan Abdülaziz, der bei ihm mehr als 30 Bilder für den Dolmabahçe-Palast in Auftrag gab. Der Sultan war selbst ein bemerkenswerter Zeichner mit einer Vorliebe für alles Westliche. Aivazovsky kam mit einem Bild nach Istanbul und malte während seines dreiwöchigen Aufenthaltes in der Stadt sechs weitere Gemälde, darunter jene, für die der Sultan höchstpersönlich Skizzen angefertigt hatte.

Den Sommer des Jahres 1880 erlebte Aivazovsky als glückliche Zeit: Seinen Geburtstag am 17. Juli nach julianischem Kalender feierte er mit der Eröffnung einer eigenen Bildergalerie – der ersten privaten Kunstgalerie in der russischen Provinz.

Zwischen 1880 und 1888 wurden Aivazovskys Werke in nicht weniger als 34 Einzelausstellungen gezeigt. Sieben davon fanden in St. Petersburg statt, so auch die Jubiläumsschau anlässlich seines 50-jährigen Wirkens als Maler im Jahr 1887. Bei dieser Gelegenheit verlieh ihm Großfürst Wladimir Alexandrowitsch als Präsident der Kaiserlichen Kunstakademie eine goldene Sondermedaille mit seinem Konterfei und ernannte den gefeierten Künstler zum Ehrenmitglied der Akademie. Am folgenden Abend ließ Aivazovsky ein Bankett für 150 Freunde ausrichten. Dabei bekamen alle Gäste ein Miniaturgemälde überreicht, das auf eine Fotografie des Meisters gearbeitet war.

 

Ivan Aivazovsky Schiff vor der Küste
Ivan Aivazovsky, Schiff vor der Küste, 1897, Öl auf Mahagoniplatte, 13x17cm, Schätzwert €20.000 – 40.000, Auktion Gemälde des 19. Jahrhunderts, 23. April 2015

 

In seinen Achtzigern war Aivazovsky so produktiv wie eh und je. „Auch im hohen Alter verspüre ich dieselbe Leidenschaft in mir und arbeite unentwegt“, schrieb er 1899, im Jahr vor seinem Tod, in einem Brief an seinen Biografen Nikolai Kuzmin. Etwa zur selben Zeit demonstrierte er vor Studenten der Klasse für Landschaftsmalerei an der Kaiserlichen Kunstakademie, wie man das Meer malt. Das Publikum staunte nicht schlecht, denn er benötigte für das Bild nur eine Stunde und 50 Minuten!

Aivazovskys letzte Ausstellung fand im März 1900 in St. Petersburg statt. Am 18. April begann er in seinem Atelier, ein explodierendes türkisches Schiff zu malen. Es sollte sein letztes Bild werden, denn tags darauf – nach dem gregorianischen Kalender war dies der 2. Mai – erlag er, allein an seiner Staffelei, einer Gehirnblutung.
Mehr als ein Jahrhundert nach dem Tod des Künstlers erzielen Aivazovskys Gemälde, die stets begehrte Sammlerstücke waren, bei Auktionen nach wie vor Rekordpreise. Die zwei Arbeiten, die im April im Dorotheum zum Verkauf kommen („Sinkendes Schiff“, 1889, und „Schiff vor der Küste“, 1897), sind erstklassige Exemplare der kleinformatigen Tafelbilder Aivazovskys.

Gianni Caffiero ist international renommierter Aivazovsky-Experte, hat zahlreiche Bücher über den Künstler geschrieben und berät Auktionshäuser und Galerien auf der ganzen Welt zu dessen Werken.
(Dieser Artikel erschien im myART MAGAZINE Nr. 05/2015)

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