Enfant terrible: Hendrick ter Brugghen

Farbe, Licht und Textur: Das Porträt eines Lautenspielers zeigt nicht nur eindrucksvoll die stilistische Meisterschaft des Utrechter Caravaggisten Hendrick ter Brugghen, es steckt auch voller hintergründiger Anspielungen auf die Lebenswelt des 17. Jahrhunderts.

Wann ist eine Laute mehr als nur eine Laute? In den von Lärm erfüllten Tavernen und den heruntergekommenen Künstlerateliers des römischen Rotlichtviertels im 17. Jahrhundert konnte man oft die gutturalen Dialekte der Niederlande vernehmen. Schließlich kamen die jungen Talente der Utrechter oder Antwerpener Kunstszene in den Süden, um in die Fußstapfen Michelangelo Merisi da Caravaggios (1571–1610) zu treten, des verehrten Meisters des Realismus und des subtilen Symbolismus.

In den schmutzigen Elendsvierteln rund um die Kirche Santa Maria del Popolo versammelte sich diese Schar von Enfants terribles der jungen niederländischen Kunstszene unter der Führung von Hendrick ter Brugghen. Ihm eilte der Ruf voraus, er könne in seinem Einsatz von Farbe, Licht und Textur durchaus mit dem stürmischen italienischen Maestro mithalten. Ausgerichtet auf die sexuellen Fantasien der Auftraggeber, darunter der hohe Klerus und die adeligen Bankiersfamilien Roms, stellten die Caravaggisten in ihren Gemälden schmollende Kastraten und lüsterne Musiker dar. Ter Brugghens Werk zeigt das beispielhaft. Seltsam ist das anachronistische „burgundische“ Kostüm unseres Spielers, seine Federmütze ein bekanntes Symbol für Schäbigkeit. Außerdem birgt die von ihm gespielte „luit“, wie die Laute auf Niederländisch heißt, eine gewitzte Doppeldeutigkeit – gleich bezeichnete man im zeitgenössischen Slang nämlich auch die weiblichen Genitalien. Während unsere schnauzbärtige Figur also nach oben und aus dem Bild herausschaut und uns über den Gegenstand ihres begehrlichen Blicks im Unklaren lässt, berührt sie sanft die Laute und schlägt die figurativen Saiten unserer eigenen Leidenschaft an.

Hendrick ter Brugghen (1588–1629) Ein Lautenspieler, Öl auf Leinwand, 76 x 63,5 cm, € 400.000 – 600.000
Hendrick ter Brugghen (1588–1629) Ein Lautenspieler, Öl auf Leinwand, 76 x 63,5 cm, € 400.000 – 600.000

Über die künstlerische Symbolik hinaus verweist die Darstellung damit auf eine Art geheimen Bacchus-Kult, der von der barocken Vorliebe für Theater und Spektakel geprägt war. In den Niederlanden gab es viele „Rhetorikerkammern“, deren „rederijkers“ genannte Mitglieder ihre schauspielerischen Neigungen nach Rom mitbrachten. Ter Brugghen gehörte in der Ewigen Stadt den Bentvueghels an, was so viel heißt wie „Vögel einer Feder“. Sie hatten geheime Initiationsriten und hielten neuheidnische Zeremonien vor einem Sarkophag der heiligen Helena aus dem 4. Jahrhundert ab, den sie aufgrund seiner spätrömischen bacchantischen Motive für einen Schrein für Wein und Gesang hielten. Die Mitglieder kritzelten auch Graffiti an die Wände von Tavernen und trugen damit wohl zur Entwicklung des eigenständigen Genres der Karikatur in Rom bei.

Dieser ausschweifende singende Lautenspieler wurde in den 1620er-Jahren in Utrecht gemalt, wohin ter Brugghen nach Jahren römischer Ausgelassenheit zurückgekehrt war: ein passendes Andenken an seine prägenden, unter dem Einfluss des Südens stehenden künstlerischen Experimente, und doch umgesetzt mit einem nördlichen Sinn für klare Textur und mit einer Beherrschung des Lichts, wie sie allein die größten niederländischen Meister in ihrer Blütezeit im Goldenen Zeitalter auszeichnet.

Damian Brenninkmeyer ist Experte für Alte Meister im Dorotheum London, Sigmund Oakeshott ist ebendort als Kunsthistoriker tätig.

AUKTION

Gemälde Alter Meister, 3. Mai 2023, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Vienna

oldmasters@dorotheum.com
Tel. +43-1-515 60-403

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