Benvenuto Cellinis weltberühmte Saliera zählt zu den bedeutendsten Kunstwerken des Kunsthistorischen Museums in Wien. Ihr spektakulärer Diebstahl und die Wiederauffindung vor einigen Jahren machten international Schlagzeilen. Petra Schäpers, Dorotheum-Repräsentantin in Düsseldorf und Expertin für Zeitgenössische Kunst, und Maria Cristina Paoluzzi, Dorotheum-Repräsentantin in Rom und Expertin für Alte Meister, nehmen Cellinis Saliera zum Anlass für ein Gespräch über die Ingredienzien von Kunst.
Salz, Pfeffer…
Was sind die essenziellen Ingredienzien von Kunst?
PETRA SCHÄPERS
(Lacht.) Salz, Pfeffer, Essig und Öl – nein, im Ernst: die essenziellen Ingredienzien? Ich sehe das ganz pragmatisch: wohl eher Öl und Leinwand, Bleistift und Papier. Das ist natürlich sehr klassisch. In der zeitgenössischen Kunst wird es immer schwieriger, die Techniken immer aufwendiger, die Materialien immer komplizierter. Wassertempera, Acryl sind da ja noch zusagen harmlos.
MARIA CRISTINA PAOLUZZI
Wasser und Erde – die Verbindung verschiedener Elemente äußert sich im Gebrauch unterschiedlicher Materialien und Ausdrucksmittel, die das Kunstwerk ausmachen. Metaphorisch gesehen ist Kunst das perfekte Gleichgewicht zwischen dem Salz als traditionellem Moment und der würzigen Essenz des Pfeffers. Ein Beispiel: Für mich ist Picasso wie Salz, Caravaggio wie Pfeffer. Das Gleichgewicht – und manchmal das Ungleichgewicht – macht Kunst aus.
Cellini, ein Künstler mit starker Persönlichkeit…
Welche Bedeutung hat die Persönlichkeit des Künstlers für die Kunst, für sein Werk, beziehungsweise überhaupt?
Cellini war ein Haudegen, so wie Caravaggio. Die Persönlichkeit des Künstlers spielt auf jeden Fall eine wichtige Rolle – der Künstler repräsentiert sein Werk. Und das Image ist da natürlich von großer Bedeutung. Die Medienwirkung eines van Gogh hat sicher mit dem abgeschnittenen Ohr zu tun, um ein ganz klassisches Beispiel zu nennen. Oder man denke an Andy Warhol und Joseph Beuys – Künstlerpersönlichkeiten, die ihr Werk nicht nur repräsentieren, sondern im Grunde die Personifikation dessen sind.
MARIA CRISTINA PAOLUZZI
Die Persönlichkeit ist entscheidend: Denken Sie nur daran, wie Michelangelo und Pontormo von Historikern eingeschätzt werden. Raphael und den Hofmalern hingegen, aber auch Parmigianino oder Vertretern der Moderne wie Degas und Klimt wird ganz anderes zugeschrieben. In der Kunst kommt eine Persönlichkeit zum Ausdruck, und die ist bei Cattelan, Kiefer, Burri und anderen Repräsentanten der jüngsten Generation wiederum ganz eigen.
Antikenrezeption – zeitlos oder von gestern?
MARIA CRISTINA PAOLUZZI
Eindeutig zeitlos. Meines Erachtens waren die Entdeckung der Vergangenheit und die Antikenrezeption schon immer Leitmotive der Kunst. Im Mittelalter etwa nahmen Päpste bei der Wiederherstellung antiker Basiliken Anleihen beimAltertum. Während der Renaissance wurden im Zuge der Wiederauferstehung des klassischen Altertums Vitruvius, Alberti, Leonardo und die Domus Aurea neu entdeckt. Im Barock sollte wiederum alles ganz anders gemacht werden: Bernini konnte die Kunst auf Basis der klassischen Formensprache neu erfinden. Einer Metamorphose gleich, ließ er Marmor lebendig werden. Später kamen Canova, der Neoklassizismus und der Impressionismus als notwendige Gegenbewegungen zur Vergangenheit. Es folgte die Frühmoderne mit ihrer allgegenwärtigen Ausgewogenheit von Vergangenheit und Gegenwart … Heute ist die Vergangenheit Grundlage und Lebenselixier des künstlerischen Ausdrucks.
PETRA SCHÄPERS
Auch in meinen Augen ist Antikenrezeption zeitlos. Die Pompejische Wandmalerei findet sich in der Renaissancemalerei ebenso wieder wie in malerischen Positionen heutiger Zeit. Durch die Formsprache und die Thematik von Alltagsleben bis hin zur Mythologie. Besonders Cy Twombly hat in seinen Schriftzeichen Aspekte der Mythologie malerisch umgesetzt. Die Motiv- und Themenwelt mag heute breiter gefächert sein, jedoch begegnet uns die Wiederaufnahme der Antike immer wieder als Basis: Venusdarstellungen kennen wir aus der Antike. Die weibliche Schönheit und Nacktheit hat die Künstler jeder Zeit interessiert: Tizian, Velázquez, Modigliani bis hin zu Jeff Koons, der nicht nur mit seiner „Cicciolina“ eine provokante „zeitgenössische Göttin“ geschaffen hat, sondern sich in jüngster Zeit ganz konkret mit Antikenkopien auseinandersetzt. Hans-Peter Feldmann hat Michelangelos David mit knalliger Farbigkeit neu definiert. Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass die Antike bis heute ein Thema ist, welches neu interpretiert wird.
Der Diebstahl der Saliera…
Hat die Geschichte eines Kunstwerkes Einfluss auf das Objekt und dessen Wert?
PETRA SCHÄPERS
Den Diebstahl hatte ich ehrlich gesagt schon wieder vergessen …
Die Saliera ist und bleibt ein zentrales Stück von kunsthistorischer Bedeutung – vor dem Diebstahl nicht anders als danach.
MARIA CRISTINA PAOLUZZI
Die Saliera ist eine der verblüffendsten Arbeiten, die je entstanden sind; sie ist das Werk eines Genies, vereint Perfektion und Gegensätzlichkeit in sich. Wenn überhaupt, ist sie durch den Diebstahl noch berühmter geworden, zumal unter Laien. Ich glaube, dass die Geschichte eines Kunstwerks sehr wohl eine Rolle spielt. Ein Beispiel: Sollte Caravaggios „Geburt Christi“ je wieder auftauchen, was wäre das Werk dann wohl wert?
Welchen Einfluss nahmen Auftraggeber auf Kunstwerke – und wie verhält es sich heute?
Das Mäzenatentum spielt seit Jahrhunderten eine wesentliche Rolle in der Kunst. Kardinäle und Päpste, Adelige und Sammler: Sie alle haben der Kunst ihren Stempel aufgedrückt. Aber das Verhältnis Mäzen/Künstler ist oft schwierig: Zwischen Michelangelo und Papst Julius II. ging es nicht immer reibungslos zu, die Habsburger verzweifelten an Tizians ausgeprägter Persönlichkeit, Lorenzo de’ Medici haderte mit Botticelli, Leonardo wiederum mit den Sforza in Mailand. Heute ist es der großzügigen Unterstützung privater Mäzene zu verdanken, dass weltweit Kunst restauriert wird und führende Museen ihre Sammlungen auf Vordermann bringen können.
PETRA SCHÄPERS
Ich denke dass die Hofkünstler damals unter einem größeren Einfluss ihrer Auftraggeber standen als heute. Tizian, van Dyck … Das hat sich ja heute komplett verschoben, da es die Hofkünstler nicht mehr gibt, das Mäzenatentum an Bedeutung verloren hat, der Kunstmarkt globaler ist. Gibt es so viele Sammler, die Werke in Auftrag geben? Ich glaube nicht, zumindest nicht in dem Maß wie früher. Dennoch gibt es sehr viel mehr Sammler als früher, die Künstler fördern und somit im heutigen Sinne als Mäzene fungieren.
Petra Schäpers ist Expertin für Moderne und Zeitgenössische Kunst und Dorotheum-Repräsentantin in Düsseldorf
Maria Cristina Paoluzzi ist Expertin für Alte Meister und Dorotheum-Repräsentantin in Rom