Mikuláš Medek: Realität, Existenz, Nichts

Realität, Existenz, Nichts

In kalten Farben blickt der „Gefesselte Engel“ von der Leinwand. Mikuláš Medek vertrat die Freiheit der Kunst in unfreien Zeiten und ging mit seinem originellen, von Spiritualität erfüllten Werk in die tschechische Kunstgeschichte der Nachkriegszeit ein.

In einer Abhandlung aus dem Jahr 1951 schreiben der tschechische Künstler Mikuláš Medek und seine Partnerin Emila Medková, dass das innere Bild kein autonomes Produkt des Unterbewusstseins sei, sondern eine Realität, „die unsere zitternden Subjekte umfasst, eine Realität, die durch unseren ganzen Körper gesehen wird, Realität, Existenz, Nichts, Realität des Bewusstseins“. Im Lauf seines Lebens schuf Mikuláš Medek (1926–1974) ein knapp 400 Werke umfassendes Œuvre. Es spannt sich von seinen frühen expressionistischen und am Rande auch kubistischen Werken über eine Annäherung an den Surrealismus und den Existenzialismus bis hin zu einem als Informel bezeichneten Ausdruck, der sich an die Abstraktion anlehnt, um schließlich zu einer architektonisch-morphologisch durchdrungenen Figuration zurückzukehren.

Mikuláš Medek
Gefesselter Engel, 1971
Öl und Email auf Leinwand
170 x 120 cm
Schätzwert € 200.000 – 300.000

Zu Lebzeiten wurde er – wie viele andere – als Maler politisch sanktioniert, seine Werke wurden wiederkehrend auf den Index verbotener Kunst gesetzt, stünden sie doch in „krassem Widerspruch zur Aufgabe der Kunst in einer sozialistischen Gesellschaft“. Kirchen wurden zeitweise zu den einzigen öffentlich zugänglichen Räumen für Medeks Kunst, wo er großformatige Altarbilder erschuf. Nach 1970 stellte er ausschließlich im Ausland aus. 1971, drei Jahre vor seinem krankheitsbedingten frühen Tod, schuf er das Bild „Gefesselter Engel“. Es entstammt einer mehrteiligen „Engel“-Serie, deren Kopfstrukturen einem biomorph-mikroskopischen Querschnitt von Pflanzengewebe ähneln. Diese Bilder aus metallischem Blau und goldenem Rot öffnen dem Betrachter in ihrer kristallin-transluzenten Struktur den orphischen Assoziationsraum einer von sakralen, halluzinogenen und symbolischen Parabeln beherrschten Welt. Sie wirken wie Kaleidoskope aus menschlichem Leid, seelischen Zweifeln und körperlichen Schmerzen. Sie zeigen aber auch den freien Geist in einer mechanisch gefesselten Hülle, der sich trotz des ihn umgebenden frostigen Milieus nicht einsperren lässt, und wecken Reminiszenzen an die farbenprächtigen, nach oben strebenden Bleiglasfenster steinerner Kirchen.

AUKTION

Zeitgenössische Kunst I, 23. Mai 2024, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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