Auktion Klassische Moderne: Giacomo Balla

DER MALER VOR DEM SPIEGEL

Mit seiner „Autosmorfia“, einem Selbstporträt mit Grimasse, das am 4. Juni im Dorotheum zur Auktion Klassische Moderne gelangt, reiht sich Giacomo Balla in eine lange Tradition künstlerischer Selbstdarstellung und -Erforschung ein. Ein Einblick in die Hinter- und Abgründe dieses spannungsreichen Genres.

Gian Lorenzo Bernini, Anima Dannata (Damned Soul), 1619, Stabilimenti Pii Regi Spagnoli- Opera Pia, Roma

Das Interesse an der Psyche des gemalten Subjekts, das im 16. Jahrhundert noch stark in einem pseudowissenschaftlichen Denken verwurzelt war, in dem sich magische mit alchemistischen und physiognomischen Elementen vereinten, wurde im Lauf des 17. Jahrhunderts zunehmend von einem modernen, rationalen und wissenschaftlichen Blick geprägt. Gefühlsregungen wie Wut oder Freude wurden schließlich charakteristisch für unzählige Porträts und Selbstbildnisse dieser Zeit. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür gibt Gian Lorenzo Berninis Werk ab, das durch eine bemerkenswerte Unmittelbarkeit und eine wirkungsvolle psychologische Innenschau besticht. Der Blick ins Innere und die autobiografische Reflexion sind auch zentrale Elemente der Arbeiten anderer europäischer Künstler, vor allem Rembrandts. Wie Albrecht Dürer widmete er sich konsequent der Selbstdarstellung und hinterließ 46 gezeichnete und gemalte Selbstporträts, in denen sich die künstlerischen Strömungen des 16. Jahrhunderts vereinen. Es waren diese Selbstdarstellungen, in denen Rembrandt sein zunehmendes Leiden auf die Leinwand bannte und die es ihm ermöglichten, seinen fortschreitenden Verfall mit Pinselstrichen herauszuarbeiten, indem er die Spuren der einst leuchtenden und präzisen Gemälde seiner Jugend mehr und mehr verwischte. Es war dieser stilistische Weg, den als einziger Vorläufer Tizian mit seinen „non-finito“ (unfertigen) Arbeiten beschritt, der seine Zeitgenossen zum Staunen brachte. Mit Rembrandts Selbsterforschungen fand die Zeit des Experimentierens und Kodierens von Selbstbildnissen ein Ende – eine Periode, die in etwa vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gedauert und dem Genre zu eigenständiger Bedeutung in der europäischen Kunsttradition verholfen hatte.

Franz Xaver Messerschmidt, Der Gähnende, ca. 1770, © Szépművészeti Múzeum – Museum of Fine Arts Budapest, 2019

Im 18. Jahrhundert wurden schließlich die sogenannten Charakterköpfe von Franz Xaver Messerschmidt zu einem wichtigen Schnittpunkt von Kunst und Psychologie. Nach dem Kunsthistoriker Rudolf Wittkower würden darin „das Studium der Probleme von Künstlern und deren geistiger Gesundheit“ auf den Prüfstand kommen. In der Kunstgeschichte findet sich kaum Vergleichbares, als einziger Vorläufer ist der bereits erwähnte Bernini zu nennen, der 1619 zwei Charakterköpfe für den Kardinal Foix de Montoya anfertigte: „Anima Beata“ und „Anima Dannata“, die erlöste und die verdammte Seele. Während Bernini darauf abzielte, menschliche Charakterzüge und Leidenschaften darzustellen, zeichnet Messerschmidt die Figur eines düsteren Künstlers, extravagant und auf verhängnisvolle Weise gefangen in einer individualistischen, nicht repräsentativen Widerspiegelung der Wirklichkeit, seiner selbst und seiner Kunst.

Unter den Künstlern des 19. Jahrhunderts sind viele Versuche zu erkennen, das Selbstbildnis in einen direkten Zusammenhang mit dem eigenen künstlerischen Schaffen zu stellen, um das Bild von sich selbst und der eigenen Kunst perfekt miteinander in Einklang zu bringen. Gustave Courbets „Selbstbildnis als Verzweifelter“ (1844–1849) stellt die Bestürzung – möglicherweise ob der Wahrnehmung seiner selbst im Spiegel – in geradezu hyperrealistischer Präzision dar.

Gustave Courbet, Selbstporträt als Verzweifelter, 1844 – 1849, Private Sammlung

Die von Sigmund Freud Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Psychoanalyse sollte eine ödipale Wende in der Kunst herbeiführen. Subjektive malerische Experimente wurden vorgenommen, die sich – wie die Arbeiten von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka klar zeigen – aus regressiven Träumen und erotischen Fantasien speisten. Im Wien von damals wurden derlei Experimente nicht toleriert, deuteten sie doch auf eine Instabilität des eigenen Ich und eine Krise der Gesellschaft hin – eine Krise, die Freud rasch zu analysieren verstand und die nicht nur die österreichische Hauptstadt erfasst hatte. Auch im Italien des frühen 20. Jahrhunderts bildete sich eine „menschlichere und authentischere“ Kunst aus – besonders in der sogenannten „kleinen römischen Avantgarde“ (Cena, Pellizza da Volpedo, Balla, Prini), die von der gegenwärtigen Realität inspiriert war und sich durch einen tiefen Idealismus mit sentimentaler und psychologischer Färbung und intensiver humanitärer Aufladung charakterisierte. Es war die Periode, in der Balla an seiner „Grimasse“ mit langem, rotzotteligem Schopf und Bohème-Halstuch malte. Man schrieb das Jahr 1900, jenes der Weltausstellung in Paris. Die „Stadt des Lichts“ funkelte mehr denn je. Der junge Giacomo Balla war 29 Jahre alt und seit September Gast des Künstlers Serafino Macchiati in Paris. „Lass es uns nochmal versuchen … Ich gehe nach Paris. Dort wird es großartige Kunst geben und man kann von den großen Meistern lernen“, schrieb der Maler an Elisa, seine Frau. Er besuchte den Louvre, wo er nicht nur auf Gemälde Alter Meister, sondern auch auf ein Selbstporträt des niederländischen Künstlers Adrien Brouwer sowie auf „La haine et la folie“ von Vučetić stieß. Neuerlich schrieb er an Elisa: „Nach dem Frühstück malte ich weiter Köpfe, die die schrägsten Grimassen machen (es sind SELBST-GRIMASSEN), ich werde ein paar davon malen und dann versuchen, sie zu verkaufen.“

Giacomo Balla, Autosmorfia, 1900 Öl auf Holz, 42,2 x 31,2 cm, Schätzwert € 80.000 – 120.000, Auktion Klassische Moderne, 4. Juni

„Autosmorfia“ (Selbst-Grimasse) ist ein Bild in Bewegung, das spätere experimentelle Analysen antizipiert: ein Kind, das über den Balkon läuft, der Flug der Schwalben oder die Geschwindigkeit des Automobils. Aber es ging ihm auch um etwas anderes, was Balla bereits in einer Reihe von Selbstporträts gesucht zu haben schien (das Erste findet sich auf der Rückseite eines frühen Fotos von ihm): Es ging ihm von 1894 an darum, dem expressiven Potenzial des menschlichen Gesichts auf den Grund zu gehen.

Wie andere zeitgenössische italienische Künstler, die sich selbst porträtierten, beschäftigte auch Balla die Frage, wie sich der Künstler selbst präsentieren möchte: Lüge oder Wahrheit, Freude oder Visualisierung verborgener Ängste und Obsessionen? Der Mythos von Narziss lehrt uns, dass man selbst vollkommene Fiktion oder unbewusste Wahrheit sein kann und dass sich der moderne Künstler mit der psychoanalytischen Darstellung von seinen Vorgängern unterscheidet, indem er das Streben nach Ewigkeit gegen das Streben austauscht, durch das Selbstporträt Selbsterkenntnis zu erlangen.

INFORMATIONEN zur AUKTION

Auktionsdatum: 4. Juni 2019, 17.00 Uhr

Auktionsort: Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

Besichtigung: ab Samstag, 25. Mai

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